Peter Kaiser
3 X LEBEN
LE SACRE
Le Groupe Grenade
Festspielhaus St. Pölten, Großer Saal
03.12.2010, 19.30 Uhr
Choreografie: Josette Baïz und Le Groupe Grenade
Kostüme: Patrick Muru (Sacre); Muriel Ferrari (Duo)
Lichtdesign: Dominique Drillot
Musik: Marc Artières (Hommage à Forsythe),
Modest Mussorgsky (Duo),
Igor Strawinski (Le Sacre)
Tanz mit Le Groupe Grenade:
Barnabé Faliu, Chloé Duvivier, Clémence Touret,
Fanny Micallef, Kim Evin, Lola Cougard, Lola Moro,
Pierre Boileau, Raphaël Sauzet, Sofiane Merabet,
Thomas Birzan-Prevost
Österreich Premiere
Dass es Arbeit mit Jugendlichen jenseits von Anpassung und Entsprechen gibt, beweist die Choreografin Josette Baїz mit ihrer fantastischen Tanz-Compagnie. Nach Tanz-, Gesangs-, und Theater-Projekten in Marseille und Aix-en-Provence gründete sie 1992 Le Groupe Grenade, eine Tanztruppe mit bis zu 50 Kindern und Jugendlichen, mit welchen sie gemeinsam die Themen und Choreografien für die Aufführungen entwickelt.
Zu Gast in St.Pölten war sie mit 11 TänzerInnen von 13 bis 17 Jahren und mit einem dreiteiligen Programm, welches perfekt auf die intime (Hinter-)Bühne des Großen Saales passte.
Hommage à (William) Forsythe, dem großen Choreografen, bildete mit vier Ensemblemitgliedern den ersten Teil. Getanzt wurde zur Musik von Mark Artières, welcher mit trockenen Beats und elektronischen Streicherklänge kalkulierte Spannungsbögen baute. Dieser kurze Einstieg in den Abend gab klar die Richtung vor: absolute Konzentration auf Bewegung und Musik bei leidenschaftlicher Interaktion der TänzerInnen nach dem Vorbild von Forsythe.
Die stark an klassischen Ballett orientierte Choreografie biederte sich keinen Moment an die gängige Jugendkultur an, sondern kontrastierte die Konvention thematisch und emotional. Das Bühnebild bestand aus Licht, welches ohne jegliche spektakuläre Effekte auskam, und einem weißen Tanzboden. Die Kostüme in ihrer Schlichtheit lenkten keinen Moment von den existentiellen Kämpfen der Protagonisten ab, sondern unterstützten diese. Die Qualität der tänzerischen Darbietung war absolut überzeugend, und was an Bühnenpräsenz naturgemäß noch nicht voll ausgereift war, glich die Lebendigkeit und Natürlichkeit der TänzerInnen völlig aus.
Der Duo betitelte zweite Teil wurde von einer Tänzerin und einem Tänzer gestaltet, welche zu Mussorgskys Bilder Solo und im Duett sich selber und einander näher kamen. Auch hier wieder viele klassische Elemente (Spitzentanz) kontrastierend mit ungezügelter Jugendlichkeit (Boxhandschuhe). Die Inhalte (um nicht direkt von Handlung zu sprechen) waren wiederum dem Alter der Beiden auf den Leib geschrieben.
Keineswegs eine Steigerung, welche schwer möglich gewesen wäre, aber die nach wie vor radikalste Ballettmusik (von Blüten wie I. Xenakis´ Kraanerg abgesehen), Strawinskis Le Sacre du Printemps aus dem Jahre 1913, stellte der dritte Teil des Abends dar. Das Frühlingsopfer Strawinskis wird thematisch mit F. Wedekinds Frühlings Erwachen (1891) durchmischt und heraus kommt das ewige und in jeder Generation wiederkehrende Drama der Pubertät. Hier die wunderbare Gelegenheit zu nutzen, um mit der brachialen, archaischen Musik und der verletzlichen Jugend der TänzerInnen spielend, eben dieses Drama mit Leidenschaft (von spastischer Körperfindung, Schreien und aggressiven Gruppenbildern) umzusetzen, ist so schlüssig und natürlich, dass es schlichtweg nicht erfrischender hätte sein können.
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