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Le Sacre du Printemps: NÖ Tonkünstler Orchester. Rez.: Eva Riebler

Eva Riebler
3D-Tanzritual

 

Le Sacre du Printemps – Inszenierung und 3D-Animation
NÖ Tonkünstler-Orchester (NTO)

Festspielhaus St. Pölten, Großer Saal
15.03.12, 19.30 Uhr
Dirigent: Andrés Orozco-Estrada
Maurice Ravel: Alborada del gracioso
Igor Strawinski: Le Sacre du Printemps
Konzept, Regie und Choreografie: Klaus Obermaier
Interaktives Design und technische Entwicklung: Ars Electronica Futurelab
Tanz : Julia Mach

 

Als Einstimmung war das kurze Alborada del gracioso (etwa: Morgenständchen eines Narren) in der von Maurice Ravel 1905 selbst bestimmten Orchesterfassung gedacht. Ein lebhaftes virtuoses Werk, das in die impressionistische Klangwelt einführte. Das zweite Werk legte der Dirigent Andrés Orozco-Estrada erfolgreich expressionistisch an. Was Anfang des 20. Jahrhunderts das Publikum erregte, fand anschließend zahlreiche Nachahmer.

Le Sacre du Printemps darf als schillerndes Hauptstück des Abends angesehen werden. Es ist das erste Werk der Moderne, das viele kleine Motive in ihrer rhythmischen Veränderung aufweist, dissonante, fast geräuschhafte Klänge bringt und auch die Streicher perkussiv klingen lässt. Dieser Paradigmenbruch brachte die Emanzipation des Rhythmus von der starren Metrik oder systematischen Symmetrie. Dieser ständige Taktwechsel und die komplizierten klanglichen Strukturen stellen natürlich große Anforderungen an die Solotänzerin. Sie steht live und virtuell im Raum und ihr Bild wird in der 3D-Animation weiters von ausgewählten acht aus den insgesamt 109 Instrumenten auf der Bühne visuell beeinflusst. Bei der Probe ergibt sich noch nicht dasselbe Bild wie bei der Aufführung, da die Spieltechnik und die Intensität der acht Instrumente jeweils ausschlaggebend sind. Eine solche Verquickung von Tanz, Instrumenten und 3D-Technik war so noch nie auf der Bühne des Festspielhauses. Der Körper der Tänzerin wurde durch einige Stereokameras transferiert und in einem ungewöhnlichen Blickwinkel verdoppelt, verzehrt oder nicht verzehrt in 3D wiedergegeben. Dem Thema der heidnischen Opferung wurde durch Schriftzeichen des ältesten bekannten slawischen Alphabets (die runenartigen Zeichen der Glagoliza), die um das junge Mädchen tanzen, genüge getan. Die blutige Vorgangsweise wird durch die Farbe Rot symbolisiert, während das zu Tode kommende Opfer Weiß, die Farbe der Reinheit und Unschuld, trägt. Die Technik und das grandiose Können Julia Machs vermittelte ein kompaktes spannendes Erlebnis, das vorzeitliche Inhalte mit moderner Interaktion kommunizieren ließ. Der Körper im virtuellen Raum, aufgeblasen auf etliche Meter Dimension, von verschiedenen Blickwinkeln gleichzeitig überlagert, ergaben gemeinsam mit der hervorragen instrumentierten Musik Strawinskis durch das NTO-Orchester einen vollendeten Kunstgenuss.

Vor allem Klaus Obermaier als Konzept- und Regieleiter, der unter Mitwirkung des Ars Electronica Futurelab die 3D-Visualisierung erarbeitete, zeigte sich in der anschließenden After-Show Künstlergespräch von der technischen Umsetzung und dem kompakten Setting in St. Pölten begeistert, nachdem er als Vergleiche Aufführungen in Taiwan, London oder Birmingham heranzog.

 

Le Sacre du Printemps: NÖ Tonkünstler Orchester. Rez.: Eva Riebler

Wiener Philharmoniker. Rez.: Peter Kaiser

Peter Kaiser
Der Schatten der Giganten

 

Wiener Philharmoniker
Festspielhaus St. Pölten, Großer Saal
10.03.2012, 19.30 Uhr
Johannes Brahms: Klavierkonzert Nr. 1d-moll op. 15
Pjotr Iljitsch Tschaikowski: Symphonie Nr. 6 h-moll op. 74 - Pathétique
Wiener Philharmoniker
Solistin: Hélène Grimaud Klavier
Dirigent: Yannik Nézet-Séguin
Einführungsgespräch: Gottfried Franz Kasparek

Mitte November gastierte die Pianistin Hélène Grimaud mit Clemens Hagen am Violoncello im Festspielhaus St. Pölten. Am Programm standen neben Robert Schumann und Claude Debussy auch Sonaten für Violoncello und Klavier von Johannes Brahms. Dieser Komponist, sowohl Klassiker wie Romantiker und schon Moderner (A. Schönberg), faszinierte Grimaud schon seit sie das Klavierspiel (und damit ihre Lebensrettung, wie sie in ihrem Buch Wolfssonate* schreibt) für sich entdeckt hatte. Sein Klavierkonzert Nr.1 ist eines ihrer am häufigsten gespielten Werke. Brahms hat in meinem Herzen sofort einen Platz eingenommen, der ihm nicht mehr streitig zu machen ist, schreibt sie in ihrer Autobiografie. Und diese Nähe ist sowohl in ihren Interpretationen seiner Kammermusik wie auch des Orchesterwerks unmittelbar erlebbar. Das Geheimnis von Grimaud ist es, trotz ihrer explizit hochromantischen Ausdeutung ihres Lieblingsrepertoires niemals überbordend oder sentimental zu werden. "Leidenschaft bedeutet, dass man sich mit Feuereifer in das stürzt, was man tut, mit Körper und Seele, ohne Zögern und ungehemmt; so habe ich die Dinge gemacht, und so mache ich sie noch heute" (Zitat: Wolfssonate). Nur die absolute und selbstkritische Ernsthaftigkeit in der Auseinandersetzung mit Komponisten und Werk kann bei solch ungehemmter Herangehensweise wie bei Grimaud zu einem dermaßen intensiven wie glasklaren Hörerlebnis führen. Das macht sie einzigartig.

Brahms', vor allem im 1. Satz, sehr symphonisch geprägtes Klavierkonzert Nr. 1 (Uraufführung 1859 in Hannover), leuchtete im Festspielhaus durch seine differenzierte Ausdeutung von Yannik Nézet-Séguin, dem die herrliche Akustik des FSH entgegenkommt. Grimaud spielte vor allem im großartigen 2. Satz – Adagio (den Brahms Clara Schumann zumindest brieflich gewidmet hat) als ginge es bei jedem Ton um ihr und unser Leben (was vielleicht auch zutraf…). Die Harmonie zwischen Orchester und Solistin wurde nie zu groß, um einen freundschaftlichen Wettstreit zu verhindern. Im Gegenteil. Man hatte bisweilen den Eindruck, dass die soliden Philharmoniker den Anker bildeten, der Grimaud daran hinderte vollends zu entschweben. Unmöglich sich der Intensität und seriösen Genauigkeit ihres Spiels sowie ihrer sprühenden Leidenschaft zu entziehen!

Wie Brahms die Giganten (Haydn, Beethoven, Bach …) schaudernd hinter sich marschieren spürte, muss sich Yannik Nézet-Séguin gefühlt haben, als er Tschaikowskis 6. Symphonie, die Pathétique, erstmals zu Proben begann. Auch hinterm Dirigentenpult standen bei diesem berühmten Stück schon Giganten: Wladimir Fedoseyew, Leonard Bernstein, der die wohl tragischste Interpretation geliefert hatte und natürlich der strenge Evgeny Mravinsky mit den Leningrader Philharmonikern und viele mehr. Yannik Nézet-Séguin wählte (auch in der Dauer) den Weg der genannten Russen und vermied damit die große Gefahr (immer bei Tschaikowski!) in die Sentimentalitätsfalle zu gehen. Prägnant, ruppig, mit viel grellem Blech, zeigte er den Komponisten nicht romantisch rückwärtsgewandt sondern als weiteren Wegbereiter der Moderne. Gerade die Skurrilität des Walzerthemas im 2. Satz (Allegro con grazia) oder die ausufernden Marschmotive im 3., Allegro molto vivace, lassen nicht nur einmal an den größten Symphoniker des 20. Jahrhunderts denken: Dimitri Schostakovich.

Dieser wunderbare Abend mit den Wiener Philharmonikern und Hélène Grimaud hat gezeigt, was sogenannte Romantische Musik auch sein kann: eine spannende, aufrüttelnde Attacke auf Herz und Verstand.

* Hélène Grimaud: Wolfssonate. Aus d. Französ: Michael von Killisch-Horn. Verlag Blanvalet, 2005, 1. Auflage.

Wiener Philharmoniker. Rez.: Peter Kaiser

The Rodin Project: Sadler's Wells presents Russell Maliphant. Rez.: Eva Riebler

Eva Riebler
Von der Skulptur zur Choreografie

 

The Rodin Project
Sadler's Wells presents Russell Maliphant

Festspielhaus St. Pölten: Großer Saal
18.02.12, 19.30 Uhr
Österreich-Premiere!
Russell Maliphant Company
Choreografie: Russell Maliphant
Performance: Tommy Franzen, Thomasin Gülgeç,
Dickson Mbi, Ella Mesma, Carys Staton, Jenny White
Eine Koproduktion des Théâtre National de Chaillot,
Les Théâtres de la Ville de Luxembourg und
The Joyce Theater New York.
Mit Unterstützung des Arts Council England.

Creative Learning
Box
18.02.12, 21.30 Uhr
Sadler`s Wells Company of Elders

The Rodin Project
Der Mensch stand für den Skulpteur Auguste Rodin als Thema im Vordergrund. Für Maliphants Choreografie ist der menschliche Körper ebenfalls Ausgangsmaterial. Sie bedarf einer weiteren Bearbeitung im Sinne von Formung und Bewegungsablauf. Und gerade das hat Maliphant von Rodin übernommen: Die Haltung und der starre Ausdruck, die Fast-Nacktheit und die mögliche Betrachtung von allen Seiten. Der Rundumblick wurde durch Bewegungen in Zeitlupe, durch Body-Popping und Drehung bei optimaler Beleuchtung ermöglicht. Leider war nur ein Tänzer der drei männlichen in seiner wohlgeformten Muskelgestalt als Modell geeignet und kam seiner Hautfarbe gemäß den Bronzeskulpturen Rodins gleich. Unter den drei Tänzerinnen war ebenfalls ein optimales Rodin-Modell, das u. a. die entblößte Rückenansicht mit mehr oder weniger Verschleierung gefühlsstark und ästhetisch versinnbildlichte.

Es wurde mit viel Gefühls- und wenig Handlungsinhalten choreografiert. Die Parts waren ähnlich und im Laufe des Abends etwas gleichförmig gestaltet. Trotz ästhetischem Genuss wird das Zelebrieren schöner Körper irgendwann eintönig. Vor allem wenn die Augen stets ausdruckslos bleiben und kaum ein auf einander Zugehen oder miteinander Tanzen stattfindet. Es fehlte die Spannung, was natürlich gewollt sein kann, da es dem Statischen einer Skulptur entspricht.

Creative Learning: Company o Elders
Ganz anders verlief das Programm von Sadler´s Wells Company of Elders in der Box.
Hier war vielmehr das Persönliche im Vordergrund. Vor allem sprühten die 10 Londoner TänzerInnen zwischen 65 und 90 Jahren mitreißende Freude, Begeisterung, Empathie und Souveränität aus. Gelungen waren ebenfalls die Filmeinspielungen, die u. a. Details aus den Proben zeigten und generationsübergreifend junge und ältere Formen, Gesichter, Gliedmaßen, besonders Hände und Füße im Dialog zeigten.

Der Gegensatz zu den statischen Rodin-Choreografien war erfolgreich verarbeitet und beide Projekte erzielten außerordentlichen, lang anhaltenden stürmischen Beifall.

Ab dem 19.02.12 beginnt nach dem Londoner Muster ein ähnliches Projekt für TänzerInnen über 50 Jahre im Festspielhaus St. Pölten. Ein Tanz-Workshop. Gesucht werden 120 Freiwillige. Nach zweimaligen monatlichen Proben soll im Mai 2013 eine Performance auf der Bühne stattfinden. Wir sind gespannt.

The Rodin Project: Sadler's Wells presents Russell Maliphant. Rez.: Eva Riebler

Transitory Life: Laurie Anderson. Rez.: Eva Riebler

Eva Riebler
KALKULIERT SPHÄRISCHES

 

TRANSITORY LIFE
Laurie Anderson

A Restrospective, Songs and Stories
Festspielhaus St. Pölten, Großer Saal
28.01.12, 19.30 Uhr
Dauer: 1 Std. 30 Min.

Laurie Anderson ist in den letzten 25 Jahren, zu Beginn in den Sofien-Sälen, und an anderen Spielorten präsent gewesen. Sie ist eine Sängerin und Schriftstellerin und verbindet in ihrer Performance ihre Begabungen mit experimentellem Sound. Diesmal trat sie weniger als Vokalisten sondern vor allem als Streicherin der Mini-E-Violine und Erzählerin zutage. Mit außerordentlich viel Pathos und dazugehörigem Nebel versprühte sie eine Märchen-Atmosphäre, von der die Gebrüder Grimm oder Hans Christian Andersen nur träumen konnten.
Als Themenschwerpunkte nahm sie Erlebtes, z.B. ihre Reise zum Nord-Pol, die nach Utah mit ihrem Hund, und Gedachtes, z.B. Anekdotisches aus ihren Altägyptischen Vorlesungen, aus ihren Performances der 70er-Jahre in Kirchen oder über das Ende der Welt etc. Sie erzählte Geschichten über Geschichten z.B. über Hänsel und Gretel in Berlin und endete meist mit einer weisen Sentenz à la: Der Sturm, der aus der Vergangenheit weht, heißt Fortschritt – oder: Seit 9/11 kommt die Bedrohung auch aus der Luft und dies kann nicht rückgängig gemacht werden .... Als sie bei McDonalds arbeitete, erkannte sie: „Nur bei McDonalds kann ich all das Geben, was man von mir verlangt“.
Ihre Performance war als amerikanisches Ein-Frau-Event sehr persönlich, vielleicht nicht sehr kreativ, aber zufrieden stellend sphärisch und stimmig dargebracht; jedoch muss man die plakativen philosophischen Inhalte als solche betrachten: nämlich als plakativ!

Transitory Life: Laurie Anderson. Rez.: Eva Riebler

The Tempest Replica: Crytal Pite. Rez.: Eva Riebler

Eva Riebler
DAS HIER UND JETZT SCHLÄGT ZURÜCK

 

THE TEMPEST REPLICA
Crystal Pite

Festspielhaus St. Pölten, Großer Saal
21.01.12, 19.30 Uhr
Österreichische Uraufführung
Choreografie: Crystal Pite
Kidd Pivot Frankfurt RM
Tanz:
Eric Beauchesne, Peter Chu,
Sandra Marín Garcia, Yannick Matthon,
Jiří Pokorny´, Cindy Salgado,
Jermaine Maurice Spivey
Komposition: Owen Belton

Sturm und Schiffs-Katastrophe rufen heute Ressentiments hervor.
So klinisch, ästhetisch schön ist leider kein Sturm der Wirklichkeit. Auf der Bühne wird er außerdem mit einem Gespür für außergewöhnliche Dramatik getanzt und mit Donner wie Blitzen versehen, die grell einzelne Bewegungen aus dem choreografischen Ablauf beleuchten und festhalten. Diese wie eingefrorene Sentenzen bilden einen tollen Gegensatz zu den runden, weichen Abroll-Bewegungen, die das Schlingern durch Wellen verdeutlichen. Überhaupt gelingt es der kanadischen Choreografin Crystal Pite einzelne Bilder aus dem bekannten Inhalt des „Sturm“ von William Shakespeare wie Details einer Erinnerung aussehen zu lassen. Sie fischt die Hauptmotive, wie: Intrige, Bestrafung, Einsamkeit, Liebe, Leid, Verzeihung oder Versöhnung heraus und lässt auf der Ebene des Handlungsortes bei Shakespeare - auf einer einsamen Insel wie im Hier und Jetzt - in einer heutigen Wohnung, spielen.
Zweitens verschränkt sie wirkliche Personen aus Fleisch und Blut mit ihrem Alter Ego, das durch weiße Verhüllungen bis über den Kopf symbolisiert wird. Der Protagonist - in Shakespeares „Sturm“ ist es Prospero, der gestrandete einstige Herrscher Mailands - übernimmt in ihrer Choreografie die Rolle des Erzählers, der die schemenhaften weißen Modellfiguren und den Lauf des Geschehens lenken kann.
Bewundernswert sind nicht nur die choreografische Präzisionsarbeit und die nuancenreichen Bewegungsabläufe sondern die tänzerischen Hochleistungen, die die erzählerische Umsetzung erst zum Genuss machen. Sogar die Schattenspiele setzten Inhalte frei und ergänzten visuell Vorgeführtes.
Ein Gesamterlebnis, dank Höchstleistungen der sechs TänzerInnen, der choreografischen Gestaltung, des Licht- und Sounddesigns, der originellen Schatten-Projektionen sowie der stimmungsvollen Kostüme.
Eine spannende Neugestaltung und ästhetische Bezugnahme zu einer Shakespeare-Romanze!
Eine herausragende Performance!

The Tempest Replica: Crytal Pite. Rez.: Eva Riebler