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Ballet National de Marseille: Moving Target. Rez.: Eva Riebler

Eva Riebler
RAUMGESATLTUNG

 

BALLET NATIONAL DE MARSEILLE
Moving Target

Festspielhaus St. Pölten, Großer Saal
09.12.11, 19.30 Uhr
Konzept und Choreografie: Fréderéric Flamand

Fréderéric Flamand ist seit 2004 der Direktor des rund 30 TänzerInnern umfassenden Ballet National de Marseille und der École Nationale Supérieure de Danse de Marseille. In St. Pölten war er beim anschließenden Publikumsgespräch im Café Public nicht anwesend, jedoch stellten die Tänzer, die teilweise aus der klassischen Tanzschule Lukasschule Dresden kamen, ihr Projekt hinreichend dar.

Mit einem Architekten an der Seite des Choreografen Flamand gelingt die Multi Media Produktion als Gesamtkunstwerk. Moving Target ist als Globalkonzept angelegt und soll auf den Zug der Zeit, nämlich auf die Betonung der Technik, aufspringen. Ein riesiger Spiegel in Bühnenlänge und -breite kann hinter oder ober den Tänzern das Geschehen spiegeln und die Spiegelbilder als Verschmelzung mit der Realität auf der Bühne zeigen. Die Bewegung im Spiegelbild wird anders bewertet: Vor allem bei einer schräg gestellten Projektionsfläche sieht doch ein Kriechen auf dem Bühnenboden neben einer liegenden Messlatte wie ein Klettern in steilem Gelände entlang einer Stange aus. Flamand war immer schon Vorreiter beim Einsatz von Videobildern und sieht dies als Reaktion des Tänzers auf seine Zeit. Er entwickelt gemeinsam mit den Tänzern die Stellungen, den Ausdruck und die Bewegung der Körper im Raum, was deren Interesse und Identifikation mit dem Projekt sichert. Der Tänzer hat Freiraum für Ideen und muss nicht wie im ersten Abschnitt der Performance satirisch dargestellt, als eine Marionette à la Ballet Russe funktionieren. Hier wurde mit der Messlatte der Tänzer drangsaliert, kontrolliert und eingeschränkt oder wie mit einer auf ihn gerichteten Waffe bedroht.

Die Bandbreite des Tanzes wurde signifikant erweitert und die Reflektion des Bühnengeschehens nicht nur durch den Spiegel oder durch simultane Visuals verändert, sondern auch der Realität die Kopie vorgehalten. Fazit: Eine interessante, genussreiche Vorstellung.

Ballet National de Marseille: Moving Target. Rez.: Eva Riebler

Fifty broken promises: Festival der Tastenmusik. Rez.: Eva Riebler

Eva Riebler
DIE ZEIT DER WIEDERHOLUNGEN

 

FIFTY BROKEN PROMISES
Festival Tastenmusik
Festspielhaus St. Pölten, Box
13.11.11, 18 Uhr
Otto Lechner: Akkordeon
Isabel Ettenauer: Toy Pianos

Die gebürtige St. Pöltnerin Isabel Ettenauer sammelt Spielzeugklaviere und führte sechs Stück aus ihrer 30 Instrumente umfassenden Sammlung von 1m Länge bis zu einem mit 20 cm Höhe und 40 cm Breite vor. Der Klang war ziemlich metallen und ähnlich einem Glockenspiel oder dem Ton von Flötenuhren und passte in seiner Schlichtheit zum Akkordeonklang. Acht Stücke aus der Zeit 1996 bis 2011 brachten sie gemeinsam auf die Bühne und drei Werke Joseph Haydns wurden von den beiden Musikern neu intoniert. Isabel Ettenauer schrieb zwei Stücke aus den „Werken für das Laufwerk“ in C-Dur und F-Dur für ihre Spielzeugklaviere um und Otto Lechner bearbeitete für seine Ziehharmonika z.B. das Streichquartett d-Moll op. 76/2 von Joseph Haydn aus einer Zeit, in der es noch kein Akkordeon gab.

Der Traditionsbruch zahlte sich aus. Ein sensibles, leichtes Spiel, gepaart mit ungewöhnlich metallenem Klang der Tasteninstrumente und der Virtuosität eines Otto Lechners mussten eine lustvolle, heitere Performance ergeben!

Fifty broken promises: Festival der Tastenmusik. Rez.: Eva Riebler

Trovesi/Coscia: In Cerca di Cibo. Rez.: Eva Riebler

Eva Riebler
MASTERPIECES

 

TROVESI/COSCIA: IN CERCA DI CIBO
Festival Tastenmusik

Festspielhaus St. Pölten, Bühne
10.11.11, 19.30 Uhr Bühne
Gianluigi Trovesi: Klarinette
Gianni Cosca: Akkordeon

Ein Potpourri der besonderen Art. Zwei Instrumente ergeben mehr als zwei Stimmen.

Die beiden Italiener, fast Mailänder, reisen als Duo seit Ende der 1989 Jahre nicht nur durch Italien und wagten sich nun an Jacques Offenbachs Musik heran. Aus diesem vor wenigen Wochen erschienenen Album gaben sie Kostproben, sowie aus ihren zahlreichen Jazz-Nummern. Fröhlich, heiter gestalteten sie die Abfolge und brachten Beispiele aus ihrem zweiten Album „In cerca di cibo“. Souverän und locker brachten Gianni Coscia am Knöpfel-Akkordeon und Gianluigi Trovesi mit seiner Klarinette ihr jahrelanges Können aus allen möglichen Formationen von Bigband bis symphonisches Orchester und der großen Bandbreite an Musikgenres von Jazz bis italienischer Volksmusik mit ein.

Ein unterhaltsamer, abwechslungsreicher Musikgenuss!

Trovesi/Coscia: In Cerca di Cibo. Rez.: Eva Riebler

TeZukA: Sidi Larbi Cherkaoui. Rez.: Eva Riebler

Eva Riebler
MANGA GOES FOR DANCE

 

TeZukA
Sidi Larbi Cherkaoui

Festspielhaus St. Pölten, Großer Saal
29.10.11, 19.30 Uhr
Österreich-Premiere
Choreografie: Sidi Larbi Cherkaoui
Komposition und musikalische Leitung: Nitin Sawhney
Visuals und Lichtdesign: Willy Cessa

Tezuka, 1928 in Osaka geboren, kam über die Leidenschaft seines Vaters zum Genre Trickfilm-Kultur und beschäftigte sich intensiv mit der Natur vor allem mit den Insekten. Bereits als Elfjähriger zeichnete er Comics und blieb trotz Abschluss des Medizinstudiums der Kunst des Comics treu. Bekannt sind seine Figuren „Kimba, der weiße Löwe“ oder „Astro Boy“, der kleiner Superheld, der mit Atomstrom betrieben wird. Tezuka war sich der zweifelhaften Bedeutung dieser Energie als Japaner, der den zweiten Weltkrieg miterlebte, bewusst.

Da der flämisch-marokkanische Choreograf und Tänzer Sidi Larbi Cherkaoui, der bereits fünf Produktionen in St. Pölten zeigte, ein großer Comic-Freak ist und 2007 mit Mitarbeitern Tezukas zusammenkam, setzte er eine choreografische Verbindung zu den bekanntesten Manga-Figuren. Eine Hommage für Tezuka entstand, die natürlich viel Gewalt, Konfliktbereitschaft aus dem zweiten Weltkrieg gepaart mit Empathie und Theatralik zeigt. Vor allem die asiatische Kampfkunst findet in Tanzbewegungen Ausdruck. Schnelligkeit wie Wendigkeit ist ein Thema, eingebaut in kippende Rahmen, Rechtecke oder Quadrate, die die Bilderstrips verdeutlichen. Die Animation übertrug sich von den Comic-Figuren auf die Tänzer. Mit aufwändigen Projektionen von ästhetischen Tuschzeichnungen und Kalligrafien sowie Videos entstand ein Gesamtkunstwerk, das weit über die Tanzsprache hinaus weist.

TeZukA: Sidi Larbi Cherkaoui. Rez.: Eva Riebler

Orfeo ed Euridice: Gluck. Rez.: Peter Kaiser

Peter Kaiser
ZU NEUEN UFERN

 

ORFEO ED EURIDICE
Oper von Christoph Willibald Gluck

Festspielhaus St. Pölten, Großer Saal
08.06.2011, 19.30 Uhr
Regie & Video: Susanne Øglænd
Dirigent: Lothar Zagrosek
Solisten: Ann Hallenberg, Thora Einardottir, Sunhae Im
Tonkünstler-Orchester Niederösterreich
Projektchor.szene NÖ
Einführungsgespräch mit Walter Weidringer

Den Saison-Abschluss im St. Pöltner Festspielhaus macht eine Oper, welche in der Musikgeschichte eine echte Novität darstellte: Orfeo ed Euridice von Christoph Willibald Gluck (1714-1787) in der Wiener Fassung von 1762. Nicht das Thema ist allerdings das Novum, welches unzählige Male in der Kunst- und Musikgeschichte dargestellt und aufgeführt worden ist. Man denke im Bereich der Oper nur an den unerreichbaren L´Orfeo von Claudio Monteverdi, welchen manche als erste richtige Oper bezeichnen, der in Mantua 1607 uraufgeführt wurde und der in seiner formalen Strenge bis heute ein Maßstab für das Genre insgesamt ist.
Gluck als Zeitgenosse von Haydn und Mozart geht mit seinem Orfeo weit über die barocke Oper mit ihrer üblichen Gliederung zwischen den musikalisch sparsam gehaltenen Rezitativen (Secco-Rezitativen) und den Da-Capo-Arien hinaus. Die verworrenen und versponnenen Handlungen werden durch ein einfühlsames und konzentriertes Psychogramm der Figuren abgelöst.
Gemeinsam mit dem Librettisten Raniero de’ Calzabigi (1714–1795) lässt er einen Chor den Handlungsstrang fortführen (Accompagnato-Rezitative) und beim Abstieg Orfeos in die Unterwelt sogar als Erínyen und Schattenwesen auftreten („No!“). Orfeo selbst, hier von der fantastischen, schwedischen Mezzosopranistin Ann Hallenberg gesungen, gibt präzise Auskunft über sein Liebesleid, ohne sich in barocken Koloraturen zu verlieren.
In der Unterwelt verweist, unter vielen anderen, eine mit Vogelgezwitscher sehr pastoral anmutende Stelle bereits stark auf die Klassik. Barocker Pomp hat zu Glucks Zeiten endgültig ausgedient.

Die künstlerische Leitung des Abends lag bei Joachim Schloemer. Die Regie und die halbszenische Inszenierung bei der norwegischen Regisseurin Susanne Øglænd.
Die Bühne ist an diesem Abend zweigeteilt: links Mitglieder des Tonkünstlerorchestern und dahinter, aufsteigend, die Herren und Damen eines Projektchors der Chorszene NÖ. Die Mitte der Bühne bildet ein schwarzer Kubus, als Sinnbild für das Unbewusste und die Unterwelt gleichermaßen. In ihm sind Orfeos Sehnsüchte verschlossen und ihm entsteigt Euridice.
Die Sängerinnen agieren rechts der Box oder auf ihr, unterstützt von einer Harfe und einem kleinen Streicherensemble. Das Kostüm Orfeos ist schlichter Punk.
Während die ersten beiden Akte der Trauer und dem Abstieg Orfeos in die Unterwelt verschrieben sind, bildet der Dritte die Konfrontation Orfeos mit Euridice samt einer abschließenden Glorifizierung der Schönheit, welche dem höfischen Ritual geschuldet sein dürfte.

Die halbszenische Inszenierung unterstützt zu Beginn die Trauer Orfeos: Die idealisierte Fotografie Euridices wird ohne jede Hoffnung besungen bis Amor in der quirligen Gestalt der südkoreanischen Sopranistin Sunhae Im auftritt und beginnt den gesamten Abend lustvoll durcheinander zu wirbeln. Die von Gestalt und Stimme wunderbare Erscheinung ermöglicht Orfeo den Abstieg in die Unterwelt, welche auf dem Kubus stattfindet mit ihm die schon erwähnte expressive Konfrontation mit dem Erínyen-Chor. Orfeo und die Harfe stimmen die Schattenwesen schließlich um und der Eintritt in die Unterwelt gelingt.
Die Reise selbst wird vom Suchenden liegend, auf einer sich in einer Videoprojektion drehenden Spirale vollzogen (ein Effekt aus Vertigo), welche die Reise ins Traumland des Ichs symbolisiert.
Der Auftritt und die Konfrontation von und mit Euridice, einer eher undankbaren Rolle, die von Thora Einarsdottir gesungen wird, ist enttäuschend: Die Geliebte ist durch das Schattenreich den Lebenden inzwischen entfremdet und erhebt Klage gegen Orfeo, statt wie von Amor anempfohlen hinter diesem herzueilen.
Beinahe ist man zu einer Neuinterpretation des Mythos verleitet: Orfeo sieht Euridice bewusst an, um die ehemalige, jetzt nervende Geliebte für immer ins Schattenreich zu bannen und um statt dessen stressfrei ihr idealisiertes Abbild in seiner Erinnerung zu besingen. Rein ist die Liebe nur in Abwesenheit des jeweils geliebten Anderen.

Nach den beiden in der Inszenierung sehr stimmigen ersten Akten, kippt der abschließende in eine komische und lieblos anmutende Darstellung der Entfremdung der beiden Geliebten. Zu guter Letzt bleibt Euridice bei den Schatten und Orfeo kehrt mit dem von Amor überreichten, verklärenden Portrait seiner Geliebten zu den Lebenden zurück.
Dem Klangbild des Orchesters wie des Chores mangelt es manches Mal an Präzision und Strahlkraft, was zum Teil der reizvollen Inszenierung und Zweiteilung der Bühne geschuldet sein mag. Die Ausdruckkraft von Amor und Orfeo sind hervorragend.

Orfeo ed Euridice: Gluck. Rez.: Peter Kaiser