Ingrid Reichel
BUSSI, BUSSI…
DER MENSCHENFEIND
(Le Misanthrope)
Molière
Komödie aus dem Französischen
von Hans Magnus Enzensberger
Landestheater NÖ, Großes Haus
Premiere: 10.03.07, 19.30 Uhr
Regie: Dora Schneider
Bühne: Christian Weißenberger
Kostüme: Aleksandra Kica
Mit: Konstanze Breitebner, Karin Yoko Jochum,
Joseph Lorenz, Matthias Lühn, Thomas Mraz,
Mirko Roggenbock, Othmar Schratt, Katrin Stuflesser,
Helmut Wiesinger, Christoph Zadra
Wir feiern ein Fest, welches 1666 seine Uraufführung im Théâtre du Palais Royal in Paris feierte. Einst waren es die Adeligen und die aufkommende Bourgeoisie, die Molière aufs Korn nahm. Heute ist es die Bussigesellschaft, die Adabeis, die „haute volé“, sie alle sind erneut geladen. Der Misanthrop ist wohl das autobiographischste Stück des Autors, Theatermachers und Günstlings des jungen Sonnenkönigs Louis XIV. Es geht um Intrigen, Heucheleien und Schmeicheleien. Das Stück behandelt die Liebe eines Moralisten zu einer Frau, die charakterliche Schwächen in sich trägt, die er zutiefst ablehnt und bekämpft. Der lange Weg der Erkenntnis: Liebe reicht nicht aus, einen Menschen zu verändern. „Man lügt nicht, wenn man liebt, weil es nichts zu verbergen gibt.“ (Alceste). Die Liebe wird zum eigenen Schaden, zur Sucht, die einen auffrisst, verblendet und zum eigenen Feind macht. „Der Mensch ist ein Vernunftwesen, wer das glaubt, ist nie Mensch gewesen.“ (Alceste)
Molière gilt in seinem gesellschaftskritischen Denken als Vorreiter der Aufklärung. Um es in Jean-Jacques Rousseaus (1712-1778) Worten zu sagen: „Die Menschen sind böse; eine traurige und fortdauernde Erfahrung erübrigt den Beweis; jedoch, der Mensch ist von Natur aus gut, ich glaube, es nachgewiesen zu haben; […] Man bewundere die menschliche Gesellschaft, soviel man will, es wird deshalb nicht weniger wahr sein, dass sie die Menschen notwendiger Weise dazu bringt, sich in dem Maße zu hassen, in dem ihre Interessen sich kreuzen, außerdem sich wechselseitig scheinbare Dienste zu erweisen und in Wirklichkeit sich alle vorstellbaren Übel zuzufügen.“
Der viel gepriesene bayrische Schriftsteller, Journalist und Übersetzer Hans Magnus Enzensberger brachte brillant das Stück vom glatten Parkett der Hofgesellschaft des 17. Jhdts. in die sterile Partygesellschaft des 21. Jhdts.. Obwohl der Text traditionell gereimt ist, baut Enzensberger gekonnt Situationen in der Sprache der Gegenwart ein. Wörter wie Hormonbehandlung, cool, Business, Depression, Snob, Babynahrung, Selbsterfahrung, Psychiater oder Formulare, um nur einige zu nennen, daten den Misanthropen mit Leichtigkeit up. Es darf wohl gesagt werden, dass in den letzten 30 Jahren selten so viel in einer Molière Aufführung gelacht wurde, wie an diesem heutigen Abend des 10.03.2007 in St. Pölten, nicht zuletzt dadurch, dass Molière inhaltlich nichts an Aktualität eingebüßt hat. Den anderen nicht unwesentlichen Part zum Gelingen trug das Ensemble des Landestheaters bei. Großes Theater! Meisterhafte schauspielerische Leistung wurde hier von jedem einzelnen Darsteller, von der kleinsten Nebenrolle bis hin zur Hauptrolle, geboten. Joseph Lorenz, umwerfend in der schwierigen Rolle des Misanthropen Alceste. Gerissen, Konstanze Breitebner als umgarnte Célimène, die sich zwischen ihren Verehrern nicht entscheiden kann. Super spießig, Katrin Stuflesser als Arsinoé - die intrigierende und von Neid erfüllte Freundin. Christoph Zadra als Philinte und Karin Yoko Jochum als Éliante spielen die treuen Freunde des Menschenfeinds. Mirko Roggenbock und Matthias Lühn verkörpern die Grafschaft, Othmar Schratt die diskrete Dienerschaft, Helmut Wiesinger den aufgeregten und emsigen Hausmeister von Alceste. Die beste Nebenrolle: Thomas Mraz in der Rolle des Widersachers Oronte. Unvergesslich sein Auftritt, als er sein „schwachsinniges“ Gedicht mit dem Titel - „Die Hoffnung …nein, nein, das ist zu gewagt...Hoffnung, nur Hoffnung, ja… Hoffnung“ zu rezitieren beginnt …“zwischen Reifen und rosa Plastikbechern/ in der Badewanne sehnt sich mein Geschlecht…“ und dann nach Kritik bettelt: „Ich bekäme Depression, wenn sie es mir versagen!“.
Hier gibt es nichts zu bemängeln und an Depression ist nicht zu denken, daher wir auch nichts versagen… wunderbar inszeniert von Dora Schneider, mit einem hervorragenden Bühnenbild von Christian Weißenberger. Eine tolle Aufführung an der sich noch viele Theaterbesucher bis Ende April erfreuen dürfen!