Bühne

Das Käthchen von Heilbronn: Heinrich von Kleist. Rez.: Alois Eder

Alois Eder
VON HEULBRONN NACH GRINSBRONN - STALKING AUF ROMANTISCH

 

DAS KÄTHCHEN VON HEILBRONN ODER DIE FEUERPROBE
Heinrich von Kleist

Landestheater Niederösterreich
Premiere: 13. 10. 2007
Regie: Johannes Gleim
Dramaturgie: Karoline Exn
Mit Antje Hochholdinger, Christine Jirku,
Karin Yoko Jochum, Charlott von Blumencron
Thomas Mraz, Peter Pikl, Thomas Richter,
Mirko Roggenbock, Philipp Scholze, Helmut Wiesinger

 

Heulbronn ist jedenfalls wieder in, nachdem Rüdiger Safranski in seiner Romantik-Untersuchung in die Aufmerksamkeit gehoben hat, was sonst die starren Epochen-Schemata der Kulturgeschichte zudecken: Nämlich, dass die Charakterzüge der Romantik, die ihnen anscheinend feindlichen Zeitläufe durchtunneln und etwa im Expressionismus oder bei den 68ern wieder zum Vorschein kommen. So war das ja auch schon mit der Eigenheit der Empfindsamkeit, die Tränen der Ergriffenheit vor der Öffentlichkeit nicht zu verbergen, auch wenn die ihr folgende Aufklärung den Appell an die Instanz der Vernunft höher schätzte...

Ja, wie geht man dann auf heutigen Bühnen mit den Sentimentalitäten von damals um?
Museal verpacktes Kulturgut oder ins Heutige transferierte Inhalte?
Kleists Käthchen von Heilbronn nach heutigem Verständnis als Geschichte einer Stalkerin aufzuziehen, hätte letzteres leicht gemacht, aber so weit wollte das St. Pöltner Landestheater die Modernisierung auch wieder nicht treiben. Man blieb also bei einer Adjustierungserleichterung gegenüber den an sich nötigen mittelalterlichen Kostümen. Ein letzter Rest von Panzerung bleibt dem Erscheinungsbild der Ritter vorbehalten, auch wenn sich Mirko Roggenbock als der angehimmelte Graf Wetter vom Strahl nur in einer Art Freistil-Turnier zu Fuß mit seinen Gegnern herumbalgen muss. Das entspricht einer Reduktion auch im Bühnenbild: für seine Burg genügt eine starre Ziegelmauer, für das Gericht der Expositions-Szene ein Mikrophon, in das die zu verhörenden Kontrahenten sprechen, Helmut Wiesinger als Schmied und besorgter Vater immerhin fast in Berufskleidung, und für Peter Pikls Kaiser des letzten Akts, der sich zu Käthchen als einer unehelichen Tochter bekennen muss, reicht die Aufmachung eines heutigen Premierenbesuchers ...

Aber solche Durchbrechungen der Illusion stören gar nicht, spiegeln sie doch nur wieder, was sich bei der Inszenierung der romantischen Empfindsamkeiten spießt - trotz Safranskis Plädoyers für deren ewige Wiederkehr. Johannes Gleims Regie und Daniela Juckels Ausstattung helfen sich damit, an den ausgefransten Rändern der gefühlstriefenden Szenen den Klamauk anzusiedeln, was vielleicht Kleists Intentionen gar nicht widerspricht, wenn der sich nicht nur den in St. Pölten eher heruntergespielten Blankvers angelacht hat, sondern auch sonstige Shakespeare-Traditionen nach Art des Bedienten als Lustige Figur, selbst wenn’s Johannes Mraz als Gottschalk mit einer auch recht anachronistischen Spielzeug-Selbstmordpistole übertreiben muss, als sein Schwarm Käthchen - Charlott von Blumencron - dann doch noch das Happy End mit seinem Herrn und Ritter geschafft hat.

Ihre Nebenbuhlerin Antje Hochholdinger als Katharina von Thurneck hat den leichteren Part erwählt, die insgeheim schon überwuzelte Intrigantin als standesgemäße Braut muss ja den Empfindsamkeits-Mythos nicht bedienen. Aber insgesamt ist eine homogene Ensembleleistung hervorzuheben, die dem Landestheater zu allen Ehren gereicht, auch wenn es im sonstigen Spielplan immer wieder auch Zuflucht zu TV-mäßig vorbeworbenen Gesichtern nimmt.

Nicht ganz so leicht zu würdigen ist, was die Dramaturgie mit diesem Saison-Erstling bezweckt hat. Ist es nur darum gegangen, eben auch dem Bildungsauftrag nachzukommen, die Klassiker im Gedächtnis zu halten? Oder geht es doch um eine spezielle Affinität Heinrich von Kleists und seines Ritterstücks zu unseren Zeitläuften? Wie das Programmheft dokumentiert, hat schon Zeitgenosse Goethe mit dem Wunderbares Gemisch aus Sinn und Unsinn nichts anfangen können (S. 22), und das Theater an der Wien, das 1810 die Uraufführung gesehen hat, hat schon 1831 Karl Meisl mit einer Parodie als Kathi von Hollabrunn ins Programm genommen (S. 14f.). Also wird man spekulieren dürfen, dass Kleists Ritterstück mit seiner vom Klassiker getadelten verfluchten Unnatur schon damals ein Zugeständnis des Autors an die damalige Ritter-Mode bei den Trivial-Lesestoffen war (S. 21).

Da hätte dann der Inszenierung ein deutlicherer Hinweis auf heutige Mode-Erscheinungen wie die Vorliebe für okkulte Phantastik samt Engels-Magie nicht übel angestanden, was die ohnehin vorgesehene Nebenrolle des Cherubs, der Käthchen etwa beim Brand der Burg zu Hilfe kommt, vielleicht stärker in den Mittelpunkt gerückt hätte. Nach der Art, wie sich solche Moden im Augenblick ihres Auftretens ernst nehmen, wäre dann allerdings die Umwandlung aus einem Heul- in ein Grinsbronn viel mühsamer zu vollziehen gewesen, die dem Ensemble bei der Premiere immerhin einen verdienten Beifallssturm eingetragen hat.

Das Käthchen von Heilbronn: Heinrich von Kleist. Rez.: Alois Eder

Die Berühmten: Thomas Bernhard. Rez.: Eva Riebler

Eva Riebler
FESTWOCHEN GMUNDEN 07
vom 13.07.07 bis 14.09.07 an verschiedenen Veranstaltungsorten
siehe
www.festwochen-gmunden.at

 

WALTER SCHMIDINGER
DIE BERÜHMTEN: THOMAS BERNHARD
Lesung
31.7.07, 20 Uhr

Wohnhaus Thomas Bernhard, Ohlsdorf



 

Dass bei den heurigen Festwochen Gmunden Thomas Bernhard ein Thema ist, ist ja nicht neu, dass jedoch „Die Berühmten“ gelesen werden, allerdings. Naturgemäß (um in der Diktion Th. B. zu sein) wurden Auszüge aus den bekanntesten Werken bereits in den ersten Jahren gelesen. Am 15.7. las Julia Gschnitzer aus Salzburg Die Erfundene, Die Mütze und Viktor Halbnarr und am 21.7. trug Stefan Hunstein Textverbindungen und Bezüge zwischen Th. B. und dem Ungarn Imre Kertész vor.

Aus dem Literatur-Symposium wurde heuer ein Fest für Peter Handke (2. – 5.8.07). Anklänge an Ein Fest für Boris von Th. B. im Rahmen der Salzburger Festspiele dürften sich nicht ergeben, sind doch kritische Stimmen wie Wendelin Schmidt-Dengler, Alfred Kolleritsch, Adolf Haslinger, Andreas Bernard, Thomas Meinecke, Hans Höller u.v.m. im Rahmen von Filmvorführungen, Vorträgen oder Podiumsdiskussionen zu hören.

Im Hause Th. Bernhards in Obernathal war der Geist des kritischen Autors spürbarer wie anderswo. Mit Kopfnicken goutiert man heute die Persiflage gegen den Kulturbetrieb und kann sich doch vorstellen, dass in den 60ern eine Aufführung Der Berühmten sowie des Festes für Boris nicht denkbar war. Wird doch mit Spott und Hohn erster Klasse die Ruhmsucht und perfide Geltungssucht der Schauspieler, Sänger und sonstiger Komparsen anhand des Gastmahles des Bassisten, anlässlich seiner Feier seiner 200. Gesangdarbietung des Ochs auf Lerchenau im Rosenkavalier von Richard Strauß, vor Augen geführt. Die Qualität der gesungenen oder gespielten Noten der Sänger und Musiker haben meist nichts zu tun mit den Banknoten. Die Theater und Festspielhäuser sind Banken - Notenbanken natürlich. Die gekonnten Tiraden gegen den verkommenen Kunstbetrieb und dessen Totengräbern, den Politikern nehmen ihren Lauf: Die Kunst kommt vom Fließband. Zwischen Bayreuth und Salzburg wird alles kaputt gemacht. Je größer das Talent, desto idealer seine Vernichtung. Disziplin ist ein Fremdwort! … Jeder hat seine Verkrüppelung, der Künstler gibt sie nicht zu, er schlägt Kapital daraus! Ohne Verkrüppelung keine Kunst! Was ist der Staat ohne Kunst? Dreck! Der Staat existiert, aber er lebt nur durch seine Künstler! Usw. – man könnte noch eine weitere Stunde der anschaulichen Textdarbietung des Linzer Theater- und Film-Schauspielers Walter Schmidinger zuhören und dem Wahrheitsgehalt des Zitates von Novalis nachsinnen: „ Nur ein Künstler kann die Wahrheit erraten.“

Kunst: Yasmina Reza. Rez.: I. Reichel

Ingrid Reichel
LIEBEN SIE NOCH, ODER KÜNSTELN SIE SCHON?

 
KUNST
Yasmina Reza
ART aus dem Französischem von Eugen Helmlé
Landestheater NÖ - großes Haus, 10.05.07
Gastspiel des Wiener Burgtheaters 2006
Regie: Felix Prader
Bühne: Dieter Klaß
Ausstattung: Tobias Hoheisel
Musik: Johannes Schmölling
Mit: Udo Samel, Gerd Wameling, Peter Simonischek

Das Burgtheater gastierte über drei Tage im Landestheater NÖ mit dem Stück „Kunst“ von Jasmina Reza, der meistgespielten, zeitgenössischen Dramatikerin. Sie ist Französin mit ungarisch-iranischen Wurzeln und schrieb bereits 1994 den Einakter „ART“, welches im selben Jahr in Paris uraufgeführt wurde. Schon 1995 übersetzte Eugen Helmlé das Stück ins Deutsche. Helmlé ist eine wunderbare Übersetzung gelungen, in der sich die deutsche Sprache endlich mal der französischen Ausdrucks- und Denkweise anpasst. Faszinierend, so fand die Autorin selbst, ist die Tatsache, dass dieses Stück, obwohl es eine Tragödie ist, mehrfach als Komödie ausgezeichnet worden ist – Prix Molière, den Evening Standard Award for Best Comedy und den Tony Award. Mittlerweile wurde das Stück in 35 weitere Sprachen übersetzt. Die erstklassige Bühneneinrichtung von Dieter Klaß aus dem Renaissance-Theater in Berlin, wurde 2006 im Wiener Burgtheater und auch hier in St. Pölten 2007 übernommen. Wunderbare Musikeinspielungen von Johannes Schmölling tragen zum sensationellen Gesamtbild des Stückes bei.
Es sei Isabella Suppanz gedankt, dass sie dem interessierten Publikum in Abänderung des Spielplans dieses Erfolgstück zu sehen ermöglichte.

Kunst, ein Titel, der verspricht mit der Modernen aufzuräumen, mit dem unverständlichen Kunstmarkt, mit der Lächerlichkeit und den Spott der hochgeschissenen Gesellschaft, pardon, der Yuppies und Adabeis, der Möchtegern-Intellektuellen … Doch Yasmina Reza überrascht das Publikum und nimmt die Kunst als Klischee, bedient sich ihrer, und verwandelt sie in das Transportmittel, um in die Tiefen des menschlichen Seins zu gelangen.
Der geschiedene Dermatologe Serge, gespielt von Gerd Wameling, plündert seine Ersparnisse und kauft sich ein Bild eines bekannten Malers, namens Antrios - eine Leinwand 1,60 m x 1,20 m mit weißen Streifen, ein monochromes, ein minimalistisches, ein dekonstruktivistisches Gemälde, einen Scheiß meint sein Freund Marc, gespielt von Udo Samel, der sich erhitzt und in Unruhe gerät, als Serge ihm stolz seine neue Errungenschaft zeigt. Yvan, gespielt von Peter Simonischek, ist der Dritte in diesem alternden Freundschaftsbunde, und erweist sich auch belastet durch seine bevorstehende Hochzeit als Feigling, weil er keine Partei ergreift, sondern zwischen den zwei Hitzköpfen zu vermitteln versucht. Bei einem Treffen à trois verspätet er sich und es kommt zum Eklat. In dieser Szene erfährt man die Spitze der Unerträglichkeit – als Simonischek in der schon aufgestauten, gespannten Atmosphäre und des zusätzlich belasteten Wartens auf den Dritten, hereinplatzt und seine zwei Freunde noch zusätzlich mit seinen desaströsen familiären Verhältnissen konfrontiert. Unvorstellbar großartige Schauspielkunst der drei Darsteller manifestierte sich hier auf der Bühne vor dem St. Pöltner Publikum! Die französischen Charaktere blieben dank dieser drei Mimen erhalten, auch wenn Gerd Wameling in zwei Szenen einen Hauch zuviel Louis de Funès interpretierte.

Das weiße Bild, das Bild der Unschuld, das Bild des Unsichtbaren macht alles sichtbar und erweist sich als Auslöser der Selbsterkenntnis. Wie eine Leiche liegt das Verhältnis der drei Freunde nackt aufgebahrt auf der Bühne. Du sollst dir kein Bildnis machen …, so heißt es in der Bibel. Du sollst dir kein Bildnis machen von denen, die du liebst…, so meinte Max Frisch. Denn eines ist klar, hast du einmal das Andere im Anderen erkannt, gibt es kein Zurück.

Das Publikum lacht ob der Absurdität - ein Bild des Nichts wird zum Freundesverrat und dient als sein Ersatz. Ist das möglich? Ja es ist … leider … möglich. „Kunst“ – ein Meisterwerk in Sprache und Inhalt, welches dem Lachen und dem Spott trotzt und tief erschüttert.

Kunst: Yasmina Reza. Rez.: I. Reichel

Kleine Nachtmusik: Silke Hassler. Re.: E. Riebler

Eva Riebler
SUCHE LIEBESSCHWUR

 
KLEINE NACHTMUSIK
Silke Hassler
Anerkennungspreis des Landes NÖ für Literatur 2005
Landestheater NÖ, Werkstattbühne
Premiere: 28.4.07

In 15 Szenen zeigt uns das prämierte Theaterstück der Kärntner Dramaturgien Silke Hassler die Suche der weiblichen Hauptperson, Anna (Charlotte Krainer), nach einem, nämlich DEM, Liebesschwur schlechthin. Sieht man hinter das Getöse der rasch wechselnden Personen und mehr oder aberwitzigen Szenen, tut sich die Frage auf: Wie kann man nach einer gescheiterten Beziehung BLOß – im Sinne von NUR - Sex als Allheilmittel suchen? Gibt es da nicht Geborgenheit, Anerkennung oder zuerst allgemeines Kennen lernen oder Wohlfühlen in einer Partnerschaft? Da ihre soeben beendet ist, hat sie anscheinend wenig daraus gelernt und begeht wohl noch krassere Fehler in ihrer Sexbesessenheit. Wie man auch im „Qualifikationsspiel“, aus dem Theaterstück „Popcorn und Pistole“, der Autorin unschwer erkennt: Geht es immer nur um Sex. Auch wenn das „Qualifikationsspiel“ in einer Klapsmühle spielt, ist nicht Unterhaltung, Gesundheit oder Heilung wichtig, sondern ausschließlich rasanter Sex, ohne Vorher und Nachher. So beherrscht Sex anstatt Suche nach Erotik oder Liebe alle 15 Szenen der „Kleinen Nachtmusik“. Das würde nichts machen, wenn wenigstens eine Ausnahme von der Regel bestünde, z.B. bei dem wunderbaren Dialog mit dem Bergsteiger (wie immer exzellent: Helmut Wiesinger) auf der Hollywoodschaukel. Die vorhergehende Szene mit dem onanierenden Rosenverkäufer bekam einen diesbezüglich dramaturgischen Dreh der Regie (Bettina Hering), indem der Rosenverkäufer (hervorragend: Thomas Mraz) nicht wie vorgesehen mit dem Rücken zum Publikum, sondern Aug in Aug, wenn auch geschlossen, onaniert. Seit Büchners Woyzeck wissen wir, dass in der Werkstattbühne raue Sitten herrschen.

Die „Kleine Nachtmusik“ könnte mit der anfänglichen Szene: Popcorn und den immer wieder vorkommenden Pistole-an-Schläfe- oder Pistole-sonst-wohin-Szenen aus diesem Theaterstück „Popcorn und Pistole“ stammen. Um den raschen Vorgang und die Ausweglosigkeit der Bemühungen der Hauptperson zu zeigen, bedurfte es bei dieser Dramaturgiefassung (Rupert Klima) keines Metronoms. Sehr angenehm, passend und belebend stimulierte anstatt dem Metronom plus Geige des Originalstückes die Einspielung verschiedener Sequenzen des Hörfunks.

Nicht nur die dramaturgische Aufbereitung, sondern die schauspielerischen Leistungen des Werkstatt-Ensembles waren grandios und künstlerisch unüberbietbar. Selbst in der 9. Szene mit dem Mann mit der Pudelmütze, einem geilen Freier, bei der Thomas Mraz keine 5 Sätze zur Verfügung hatte, beherrschte er die ganze Szene köstlich und einmalig mit seinem Können. In der Titelpartie glänzte Charlotte Kreiner, einfach hervorragend als junger Mann spielte Mirko Roggenbock, als beeindruckende Hure: Antje Hochholdinger und als gekonnt wandlungsfähiger Ehemann, Priester und Freier: Matthias Lühn. Zuletzt als verführerischer Tambourmajor im Woyzeck, nun als 1A Wissenschaftler und Bruder war Thomas Richter unüberbietbar. Einfach herrlich spielte Othmar Schratt, diesmal nicht den arroganten Doktor, sondern den einfachen Handwerker mit Wurstsemmeldialog und Katrin Thurm die stark exzentrische Frau um die 40, die ihren Ehemann am Markt anbietet. Ein Lob der Inszenierung und der Ausstattung sowie dem passenden modernen Bühnenbild, den Kostümen, dem Licht und dem eingespielten Ton!

Das Stück lebte von der Schauspielkunst, die nach Nirwana und Woyzeck nochmals eine Steigerung erfuhr!

Gratulation dem Werkstatt-Ensemble!!!
Noch zu sehen am 2., 3., 4. und 5.05.07. Am 2.05.07 mit Publikumsgespräch nach der Vorstellung.

Kleine Nachtmusik: Silke Hassler. Re.: E. Riebler

Der Menschenfeind: Molière. Re.: I. Reichel

Ingrid Reichel
BUSSI, BUSSI…

 

DER MENSCHENFEIND
(Le Misanthrope)
Molière
Komödie aus dem Französischen
von Hans Magnus Enzensberger
Landestheater NÖ, Großes Haus
Premiere: 10.03.07, 19.30 Uhr
Regie: Dora Schneider
Bühne: Christian Weißenberger
Kostüme: Aleksandra Kica
Mit: Konstanze Breitebner, Karin Yoko Jochum,
Joseph Lorenz, Matthias Lühn, Thomas Mraz,
Mirko Roggenbock, Othmar Schratt, Katrin Stuflesser,
Helmut Wiesinger, Christoph Zadra

 

Wir feiern ein Fest, welches 1666 seine Uraufführung im Théâtre du Palais Royal in Paris feierte. Einst waren es die Adeligen und die aufkommende Bourgeoisie, die Molière aufs Korn nahm. Heute ist es die Bussigesellschaft, die Adabeis, die „haute volé“, sie alle sind erneut geladen. Der Misanthrop ist wohl das autobiographischste Stück des Autors, Theatermachers und Günstlings des jungen Sonnenkönigs Louis XIV. Es geht um Intrigen, Heucheleien und Schmeicheleien. Das Stück behandelt die Liebe eines Moralisten zu einer Frau, die charakterliche Schwächen in sich trägt, die er zutiefst ablehnt und bekämpft. Der lange Weg der Erkenntnis: Liebe reicht nicht aus, einen Menschen zu verändern. „Man lügt nicht, wenn man liebt, weil es nichts zu verbergen gibt.“ (Alceste). Die Liebe wird zum eigenen Schaden, zur Sucht, die einen auffrisst, verblendet und zum eigenen Feind macht. „Der Mensch ist ein Vernunftwesen, wer das glaubt, ist nie Mensch gewesen.“ (Alceste)
Molière gilt in seinem gesellschaftskritischen Denken als Vorreiter der Aufklärung. Um es in Jean-Jacques Rousseaus (1712-1778) Worten zu sagen: „Die Menschen sind böse; eine traurige und fortdauernde Erfahrung erübrigt den Beweis; jedoch, der Mensch ist von Natur aus gut, ich glaube, es nachgewiesen zu haben; […] Man bewundere die menschliche Gesellschaft, soviel man will, es wird deshalb nicht weniger wahr sein, dass sie die Menschen notwendiger Weise dazu bringt, sich in dem Maße zu hassen, in dem ihre Interessen sich kreuzen, außerdem sich wechselseitig scheinbare Dienste zu erweisen und in Wirklichkeit sich alle vorstellbaren Übel zuzufügen.“

Der viel gepriesene bayrische Schriftsteller, Journalist und Übersetzer Hans Magnus Enzensberger brachte brillant das Stück vom glatten Parkett der Hofgesellschaft des 17. Jhdts. in die sterile Partygesellschaft des 21. Jhdts.. Obwohl der Text traditionell gereimt ist, baut Enzensberger gekonnt Situationen in der Sprache der Gegenwart ein. Wörter wie Hormonbehandlung, cool, Business, Depression, Snob, Babynahrung, Selbsterfahrung, Psychiater oder Formulare, um nur einige zu nennen, daten den Misanthropen mit Leichtigkeit up. Es darf wohl gesagt werden, dass in den letzten 30 Jahren selten so viel in einer Molière Aufführung gelacht wurde, wie an diesem heutigen Abend des 10.03.2007 in St. Pölten, nicht zuletzt dadurch, dass Molière inhaltlich nichts an Aktualität eingebüßt hat. Den anderen nicht unwesentlichen Part zum Gelingen trug das Ensemble des Landestheaters bei. Großes Theater! Meisterhafte schauspielerische Leistung wurde hier von jedem einzelnen Darsteller, von der kleinsten Nebenrolle bis hin zur Hauptrolle, geboten. Joseph Lorenz, umwerfend in der schwierigen Rolle des Misanthropen Alceste. Gerissen, Konstanze Breitebner als umgarnte Célimène, die sich zwischen ihren Verehrern nicht entscheiden kann. Super spießig, Katrin Stuflesser als Arsinoé - die intrigierende und von Neid erfüllte Freundin. Christoph Zadra als Philinte und Karin Yoko Jochum als Éliante spielen die treuen Freunde des Menschenfeinds. Mirko Roggenbock und Matthias Lühn verkörpern die Grafschaft, Othmar Schratt die diskrete Dienerschaft, Helmut Wiesinger den aufgeregten und emsigen Hausmeister von Alceste. Die beste Nebenrolle: Thomas Mraz in der Rolle des Widersachers Oronte. Unvergesslich sein Auftritt, als er sein „schwachsinniges“ Gedicht mit dem Titel - „Die Hoffnung …nein, nein, das ist zu gewagt...Hoffnung, nur Hoffnung, ja… Hoffnung“ zu rezitieren beginnt …“zwischen Reifen und rosa Plastikbechern/ in der Badewanne sehnt sich mein Geschlecht…“ und dann nach Kritik bettelt: „Ich bekäme Depression, wenn sie es mir versagen!“.

Hier gibt es nichts zu bemängeln und an Depression ist nicht zu denken, daher wir auch nichts versagen… wunderbar inszeniert von Dora Schneider, mit einem hervorragenden Bühnenbild von Christian Weißenberger. Eine tolle Aufführung an der sich noch viele Theaterbesucher bis Ende April erfreuen dürfen!

Der Menschenfeind: Molière. Re.: I. Reichel