Ulrike Truger
Träume in Stein
Eva Riebler interviewte die Bildhauerin Ulrike Truger in ihrem Atelier im Prater im März 2012.
Liebe Ulrike, Kafka spielt mit Träumen, fürchtete sich jedoch davor. Er sagte: „Träume sind Ringkämpfe, jede Nacht zu träumen ist anstrengender als zu wachen. Des Morgens sind eine Unzahl an Träumen versammelt. Ich hüte mich, sie anzusehen.“
Ja, das kommt dem nahe, was ich meine, man träumt das, was vermeintlich nicht wahr ist, was nicht Realität werden kann. Mit Träumen sind sehr viele Klischees verbunden. Träume sind nicht immer schön. Viele Träume sind Alpträume, vor allem sind sie verschlüsselt und bilden die Realität unsere Seele ab, was unsere Seele frei gibt, wenn sie vom Verstand befreit ist. Die Träume sind etwas völlig Unbewusstes, sie sind ein Instrumentarium unserer Seele. Sie drücken Dinge aus, die im Wachzustand nicht da sind. Der Traum gibt etwas frei und befreit uns von etwas. Das was hoch kommt, befreit unsere Seele.
Du hast politische Aktionen gesetzt, als Du z.B. 2000 nach den Wahlen die 3 Meter hohe „Wächterin“ aus Statuario Marmor vor dem Burgtheater als Zeichen der Wachsamkeit bei politischen Veränderungen, konkret: Regierungsbildung mit der FPÖ, aufstelltest und im Oktober 2001 mit Stiefmütterchen das Wort „Neutralität“ dort pflanztest oder den „Omofuma“- Stein 2003 aus einem Granit Nero Assoluto aus Zimbabwe verfertigtest. Hast Du Träume in Stein gemeißelt?
Phantasien kann man umsetzen aber keine Träume.
Was war Deine Inspiration bei der Skulptur mit dem Titel „Traum“?
Älter als die Steinskulptur war ein Bronzeguss (1988). Ich wollte ausdrücken, dass hinter der Bewusstseins-Realität etwas vorgeht. Beim Stein kommt die Transparenz des Marmors dazu. Die Durchsichtigkeit. Etwas wird ja durch Träume durchsichtig, sichtbar...
Verleitet nicht jeder Torso den Betrachter das Unfertige zu ergänzen?
Es kann durchaus sein, dass durch die Betrachtung von Kunstwerken wieder Träume und Unterbewusstes hervor kommen und eine persönliche Anreicherung bei der Betrachtung bilden.
Kann man die Statue „Elisabeth, Zwang/ Flucht/ Freiheit“ (1998/99, Carrara Marmor, Höhe 270 cm) als politischen Ausdruck sehen? Der Aufbruch der Frau, versinnbildlicht durch den Mantel?
Der Mantel steht für den Schutz. Der Fächer ist die Zucht. Das Verhaftet sein, sich selbst in die Zucht nehmen, wie es bei der Kaiserin Sissi war. Der Flügel ist die Freiheit. Sie verglich sich mit den Möwen. „Die Möwen sind meine Schwestern“, sagte sie. Ihre Bezugnahme auf die Natur ist bekannt, sie setzte sich dem Wind, dem Wasser aus. Sie lief durch Wiesen und Wälder. Ich hörte vor kurzem die Antwort zur Frage: Was bedeutet Freiheit? „Freiheit bedeutet keine Angst zu haben“. Andererseits sang Janis Joplin: „Freedom is another word for nothing have to loose.” Vielleicht ist die Bewegungssucht Elisabeths nur eine Konsequenz ihrer Ambivalenz. Ich hätte sie nicht machen können, wenn ich mich nicht verwandt zu ihr fühlte.
Arbeitest Du auf drei Seiten gleichzeitig?
Ja, ich gehe herum und arbeite rundherum bis die Skulptur fertig ist. Hrdlicka arbeitet an einem Punkt ins Detail gehend. Vielleicht, weil er von der Malerei kommt. Nicht alle Stellen gelingen gleich gut, obwohl ich rundherum arbeite. 30 Grad eines Werkes jedoch bleiben stets, auf die man immer wieder blickt, weil man vielleicht nicht damit zufrieden ist.
Zum Kontext zwischen Figur und Raum: Bei dieser Marmorfigur „Elisabeth“ empfindest Du den Aufstellungsort (ehedem vor dem Künstlerhaus und dann vor der Karlskirche) nunmehr vor der Hermesvilla im Lainzer Park nicht als idealsten Ort.
Ja, ich präsentierte sie 1999 vor dem Künstlerhaus. Mir wurde dort klar, wie politisch die Kaiserin Elisabeth war. Je mehr die Figur fertig wurde, desto politischer erschien sie mir, daher möchte ich sie wieder mehr im urbanen Kontext stehen sehen.
Ist Dir das Wechselspiel zwischen Rezipient und Konzipient wesentlich?
Das ist das Schöne! Für den einen ist die Skulptur „Die sich Erhebende“ (1979) eine Aufbrechende für den anderen eine Zusammenbrechende!
Du schreibst nie „ohne Titel“ unter Deine Werke, warum?
Ich beziehe oft Stellung, Manchmal kann der Titel auch offen bleiben. Meine Tochter sagte einmal zu einem Werkstück Kleopatra, ich betitelte es Gottesanbeterin, dann Brillenschlange. Manchmal bin ich auch über Hilfen froh. Es sind ja nicht alle Arbeiten politisch, oft sind sie auch poetisch.
Welchen Stellenwert hat Interaktion für Dich?
Die Betrachter sind auch verschieden. Die Skulptur ist ein Gegenüber, einfach mehr als ein Bild. Es ist ein körperliches Gegenüber. Automatisch kommt es zu einer Beziehung. Auch psychisch ist es eine Beziehung und ein Vergleich – ist die Figur kleiner, ist sie größer als ich, ist sie weiblich – männlich etc. Man stellt sich in eine Relation.
Anlässlich Deiner Ehrenmitgliedschaft der Nationalen Akademie für Skulptur hieltst Du an der Universität einen Vortrag. Die Ehrung erfolgte in Peking 2011 ...
Ja, das sehe ich als schöne Anerkennung.
Bekamst Du in Deiner Jugend Unterstützung?
Im Rahmen meiner Kindheit und Jugend hat die Kunst keine Rolle gespielt, sehr wohl aber Musik und Literatur. Ich wollte Mathematik studieren und habe dies auch begonnen. Für meine Eltern war die Kunst nicht in ihrem Spektrum. Ich habe mir das Studium selbst bezahlt.
Siehst Du Deine Rolle als weibliche Bildhauerin anders als die der männlichen Kollegen?
Ja sicher, wie bei allen anderen Positionen müssen Frauen mehr leisten. Selbst für Männer ist die Bildhauerei ein rares Gebiet. Am Anfang war es auch schwierig in der Zusammenarbeit mit Handwerkern im Steinbruch, das hat sich aber schnell gegeben, dies ist kein Problem mehr.
In Bad Homburg gibt es z.B. eine Skulpturen-Biennale. Findest Du ähnliche Biennalen in Österreich wünschenswert?
Leider hat die Skulptur in Österreich sehr an Bedeutung verloren. Wenn wir an die Tradition mit Wotruba usw... denken. Es ist ein ungeheurer Aufwand, bei uns eine Skulptur aufzustellen. Der nicht vorhandene Stellenwert der Skulptur ist ein Armutszeichen für Österreich. Nur das auf das Flüchtige, Zeitgeistige, an die Technik Anbiedernde, die neuen Medien sind im Vordergrund. Die Gefahr ist, dass die Fertigkeiten verloren gehen. Viele Leute wollen Beziehungen haben zum Material, zum Stein. Sie machen Kurse. Sie kommen und wollen schauen und teilhaben. Aber auf der Hochkulturebene hat es zu wenig Stellenwert. Kunst sollte sich nicht anbiedern, sondern auch neue Entwicklungen wahrnehmen, das Fehlende beitragen und visionär sein. Gerade die Sinnlichkeit der Materie sollte gewürdigt werden. Und gewürdigt soll werden, was es heißt, sich an einem Material zu entzünden Ich denke ja in Stein! Ich denke in Stein wie andere in Farbe! Das ist ein Wert des Arbeitens. Des Arbeitens im Dialog. Planen und von jemand anderem dann ausfertigen lassen, ist ja keine Kunst. Die Visuals und visuelle Kunst sind ja nicht mein Stil. Die Skulpturen sind durch ihre ständige Präsenz in die Stadt integriert. Dies ist ja auch bei der Architektur möglich! Das ist schade!
Du verklärst nicht die Helden der Vergangenheit, sondern schaffst Dir Deine eigene Tradition. Trotzdem frage ich: Was wäre Dein Held der Vergangenheit?
Da halte ich es wie bei dem Ausspruch: „Die Tradition ist die Weitergabe des Feuers und nicht die Anbetung der Asche.“ Giacometti wird von mir bewundert. Wotruba ist grandios. Er wird nur unter seinem Wert im Keller des 21er-Hauses präsentiert!
Und Marino Marini?
Ja, natürlich Marino Marini und Niki de Saint Phalle, natürlich Camille Claudel.
Die von ihrer Familie in die Irrenanstalt abgeschoben worden war und dort die letzten 30 Jahre ihres Lebens verbrachte ...
Ja, die Geknechtete...
Ihre Arbeiten wirken weniger glatt und gefällig, wie die ihres Lehrers und Gefährten Auguste Rodin ...
Das finde ich nicht.
Was ist momentan Dein höchstpersönliches Konzept?...
Momentan bin ich noch im Projekt zur „Vermögenden“ gemeinsam mit den burgenländischen Frauen und habe noch den großen Energiestein fertig zu machen. Das Nachbargrundstück mit einem riesigen Wirtshaus habe ich im Burgenland dazugekauft. Es mischt sich alles: das Landleben mit den Überlegungen zu einem eigenen Skulpturenpark, die Landwirtschaft und die Hochkultur. Das ist das Spannende. Im Vorjahr waren doch sehr viele Projekte, die mich sehr viel Zeit und Kraft gekostet haben, vor allem für Schreibarbeit und fürs Organisieren... Heuer möchte ich mich mehr auf die bildhauerische Arbeit konzentrieren. Für den ÖJC (Österr. Journalisten Club) mache ich ein Symbol der Pressefreiheit.
Deine Meinung zu ACTA?
Ich bin ja Botschafterin von „Kunst hat Recht“. Die Diskussion des Themas ist sehr wichtig, wenn sie auch nicht immer glücklich verläuft.
Du bist Botschaftlerin wie Gerhard Ruiss, der die Rechte der Literaten vertritt?
Ja, wie Gerhard und Karl Markus Gauss. Ich bin Vertreterin der Bildende Kunst. Das Klima zu verbessern, wäre dringend notwendig. Die Wahrnehmung und Würdigung künstlerischer Arbeit und geistigen Eigentums wären wünschenswert. Man muss vieles nun anpassen an die neuen Medien.
Ulrike Truger
Geb. 1948 in Hartberg in der Steiermark. Die Mutter war Buchhalterin, der Vater, ein engagierter Kommunist, der als Journalist und Schriftsteller arbeitete. „Der Weg zur Steinbildhauerei war nicht vorgezeichnet“, sagte Ulrike Truger im Rückblick. „Ich musste den Weg zum Stein erst über Umwege finden.“ Der konservativen Vorstellung der Eltern zufolge, sollte Ulrike Lehrerin werden und machte die Matura in der Lehrerbildungsanstalt in der Hegelgasse im 1. Bezirk. In ihrer Jugend trat sie, wie ihre Eltern auch, politisch links engagierten Gruppen bei, was die gesellschaftskritische Künstlerin bis heute geprägt hat. Dieser Tatendrang gegen Rassismus, etwas gegen Ungerechtigkeit tun zu wollen, begleitet sie ihr ganzes Leben.
1967 begann Ulrike Truger ein Studium der theoretischen Mathematik, bereits nach wenigen Semestern beendete sie dieses frustriert, denn Mathematik sei ihr zu wenig körperlich gewesen - sie wollte sowohl geistig als auch körperlich gefordert werden. Die Systematik der Mathematik bildet jedoch nach eigener Aussage eine wichtige Parallelität zur bildenden Kunst.
1971 -75 studierte sie Bildhauerei an der Hochschule für Angewandte Kunst in Wien in der Meisterklasse bei Wander Bertoni. Sie finanzierte sich ihr Studium selbst durch Privatunterricht in den Fächern Latein, Mathematik und Englisch. Im Alter von vierundzwanzig Jahren (1972) stellte die junge Künstlerin zum ersten Mal ihre Objektkästen und Reliefs in der damaligen Galerie Walli in Wien aus. Ulrike Truger befasste sich mit Visueller und Konkreter Poesie.
Nachdem sie 1976 ihr Meisterjahr an der Hochschule für Angewandte Kunst absolvierte, hatte sie einen schweren Autounfall. Von den Verletzungen musste sie sich vier Monate erholen.
Im Jahr 1988 (bis 1990) wurde Ulrike Truger zur Präsidentin des Berufsverbandes Bildender Künstler in Österreich gewählt.
Ab 1990 arbeitete sie fast täglich direkt im Marmorsteinbruch am Untersberg. Diese spezifische Art des Arbeitens in einem Steinbruch und das daraus resultierende Basismaterial für folgende Steinskulpturen bildeten den Grundstein für die darauf folgenden fünf Jahre.
Als Ulrike Truger 1995 wieder mit ihren Töchtern nach Wien zurückkehrte, erwarb sie die „Casa“ in Buchschachen, Burgenland, einen renovierungsbedürftigen Vierseithof aus 1830, der bereits fünfzehn Jahre leer stand. Ein neues Atelier wurde an das alte Bauernhaus angebaut. In Buchschachen wie im Prateratelier in Wien ist es ihr möglich im Freien ihre Steinskulpturen zu bearbeiten.
Von 2007-2008 war sie als Vizepräsidentin des Künstlerhauses Wiens tätig. Bis heute pendelt die Künstlerin wöchentlich zwischen ihrem Prateratelier in Wien, als auch jenem im ländlichen Buchschachen.
Erste Ausstellung:1978 Steirischer Herbst, Graz
Ausstellungen ab 2000:
2001 „Stein-Leben“, Oberwart (P). 2002 „stein leben“,. Wiener Neustadt - Hauptplatz, Kirche St.Peter a.d. Sperr (P). 2008 „stein.“, Künstlerhaus, Wien (P) . 2008 Plakataktion „Dorferneuerung“, Oberwart / Entwurf zur Umgestaltung des „Anschlussdenkmals“ in Oberschützen. 2008 „stein.“, Burgenländische Landesgalerie und Lisztzentrum Raiding. (P) = Personale
Preise und Auszeichnungen (Auswahl) zuletzt:
1981 Staatsstipendium für bildende Kunst. 1983 Wiener Festwochenpreis für Plastik, „Museumspreis der Kasser Art-Fondation“. 1984 Zuerkennung eines Staatsateliers im Prater. 1987 Ehrenmedaille für besondere künstlerische Leistungen der Gesellschaft bildender Künstler Österreichs. 2002 Kunstpreis der Theodor Kery-Stiftung. 2002 Liesl Bareuther-Preis der Gesellschaft Bildender Künstler Österreichs
Kunst im öffentlichen Raum (Auswahl seit 2000):
2000 Wien, Burgtheater: „Wächterin“, Carrara/Statuario Marmor (1986-1988). 2001 Wien, Karlsplatz: „Elisabeth“, Carrara/Statuario Marmor (1998/1999). 2001 Oberwart, Stadtpark: „Aufbruch“, Krastaler Marmor, „Große Liege“, Serpentin Tauerngrün. 2003 Wien, Staatsoper (Oktober), Museumsquartier-Mariahilferstraße (Dezember, bleibend): “MARCUS-OMOFUMA-STEIN”, Afrikanischer Granit. 2009-2011 Wien, Karlsplatz, Nähe Künstlerhaus: „GIGANT – Mensch Macht Würde“, Carrara-Statuario-Marmor
Funktionen
1990 Berufung in den Beirat für bildende Kunst im Ministerium.
1988-1990 Präsidentin des Berufsverbandes bildender Künstler Österreichs. 1989 Leitung des internationalen Steinbildhauer-Symposions Lindabrunn. 2000 Österreichische Kulturwoche in Adis Abbeba, Leitung des Bildhauer Workshops.
2007-2008 Vizepräsidentin des Wiener Künstlerhauses.
2009/10 Gastprofessur am Institut für Interventionsforschung an der Alpen Adria Universität Klagenfurt.
2011 Ehrenmitgliedschaft der Nationalen Akademie für Skulptur (Ehrung in Peking November 2011).
Biografie und Auflistung vgl. Diplomarbeit 2011 Karoline Riebler: Ulrike Truger. Eine österreichische Bildhauerin im öffentlichen Raum und www.ulriketruger.at/biografie
LitGes, etcetera Nr. 48/Traum/Mai 2012 mehr...