54/blind/Portrait: Gottfried Helnwein, das Phänomen

Gertraud Artner

Gottfried Helnwein, das Phänomen

Gottfried Helnwein ist ein äußerst populärer Maler, hierzulande vielleicht der populärste. Allein der enorme Besucherandrang bei der heurigen Retrospektive, die ihm von der Albertina anlässlich seines 65. Geburtstages in seiner Heimatstadt Wien ausgerichtet wurde, stellte seine hohe Bekanntheit/Beliebtheit unter Beweis. Das Echo in den Printmedien und im Fernsehen war gewaltig. Die Ausstellung selbst wurde in den höchsten Tönen gelobt, einfach überwältigend. 1)
Was für ein krasser Gegensatz zu den Anfängen in den frühen 70er Jahren mussten noch seine Präsentationen wegen heftiger Proteste abgebrochen werden. Unbekannte klebten Etiketten mit der Aufschrift „entartete Kunst“ auf Helnweins Bilder, einige Werke wurden sogar aufgrund ihres angeblich pornografischen Inhalts von der Gendarmerie beschlagnahmt. Helnwein war d e r Aufreger, der Schockmaler schlechthin. Als Rudolf Hausner seinen Lieblingsschüler an der Akademie für Bildende Künste als seinen Nachfolger für die Leitung der Meisterklasse für Malerei vorschlug, wurde dieses Ansinnen vom Rektor und einem großen Teil der Professorenschaft zurückgewiesen.


Gottfried Helnwein Selbstporträt ( BLACKOUT ), 1982 Christian Baha, Zürich © VBK, Wien, 2013

 


Zu dieser Zeit (1985) lief übrigens bereits die zweite Einzelausstellung des Künstlers in der Albertina.
Rückblickend stellt sich die Frage, was war das Besondere an Helnweins Bilder, das eine derart aggressive Empörung in der Öffentlichkeit auslöste, das „Volksempfinden“ so abgrundtief verletzte. Natürlich liegt es auch an seinem Grundthema Gewalt, noch dazu Gewalt (und das ist immer auch Missbrauch) an Kindern. Mit wenigen Ausnahmen sind es kleine Mädchen, die hier verletzt, verstümmelt, mit irgendwelchen Geräten malträtiert werden. Was das Schreckliche allerdings zur monströsen Bedrohung wachsen lässt, ist Helnweins handwerkliche Perfektion. Da gibt es für den Betrachter keine Ausflüchte in Richtung „Das ist mir zu abstrakt.“ oder „Der kann ja nix.“. Seine akribische Malweise, der fotografische Realismus fasziniert, zieht den Blick wie ein Magnet nahe ans Bild, um ihn dann umso härter und verstörender mit den Inhalten zu konfrontieren. Dieser Hyperrealismus ist unmissverständlich und hält den Generationen, die sich in die Verdrängung flüchten wollten, gnadenlos den Spiegel vor. Die mühsam aufgebaute Idylle von der heilen Familie, vom makellosen Schoß der Kirche bis hin zur Opferrolle Österreichs in der Nazidiktatur fällt angesichts Helnweins Bilder wie ein Kartenhaus zusammen. Es ist absolut bemerkenswert, dass der Künstler mit seinen erschütternden Kinderdarstellungen quasi intuitiv die heute geführte Debatte um Misshandlungen in Kinderheimen bereits vor vier Jahrzehnten thematisiert und vorwegnahm.

Dabei ging es Helnwein nie allein um Provokation, er wollte – wie er sagt – mit den Leuten in Dialog treten. Seine Bilder sollten nicht in exklusiven und musealen Galerien behütet werden, er suchte den Weg in die Massenmedien, die Zusammenarbeit mit Zeitungen und Magazinen. In seinen performativen Selbstinszenierungen ging Helnwein buchstäblich auf die Straße. Erste Aktionen im öffentlichen Raum Wiens fallen in die 70er Jahre. Mit bandagiertem Kopf, verbundenen Augen stellte/legte er sich auf den Asphalt („Hallo Dulder“ 1973, „Allzeit bereit“ 1976) – ein Versehrter, Kriegsversehrter, der die Reaktion der Passanten herausfordert. Die Selbstinszenierungen des gepeinigten Körpers rücken ihn scheinbar in die Nähe des Wiener Aktionismus, doch blieb Helnwein ein Einzelgänger, seinem spezifischen Anliegen verpflichtet.

Als Initialzündung seiner gesellschaftlichen Politisierung nennt er selbst den Holocaust und dessen jahrzehntelange Verdrängung. Als der renommierte österreichische Gerichtspsychiater Dr. Heinrich Gross über seine Tätigkeit in der Kinderklinik Am Spiegelgrund während der NS-Zeit in einem Interview 1979 meinte, die Kinder seien nicht durch Injektionen umgebracht worden, es sei ihnen lediglich Gift ins Essen gemischt worden, reagierte Helnwein umgehend. Er malte das Aquarell „Unwertes Leben“, brachte es im „profil“ zur Veröffentlichung und initiierte damit eine breite Diskussion über die Vergangenheit des NS-Arztes Dr. Gross.

Großes Aufsehen erregte Helnwein auch mit seiner Plakatinstallation „Neunter November Nacht“ 1988 in Köln. Zum 50jährigen Gedenken der Reichskristallnacht waren auf einer 100 Meter langen Bilderwand unter der Ankündigung „Selektion“ 17 Portraits von in Deutschland lebenden Kindern zu sehen. Entsetzen und Empörung unter der Bevölkerung waren die Folge, Vandalen schlitzten den Kinderportraits die Kehle durch.
Die Auseinandersetzung mit der NS-Ideologie zieht sich wie ein roter Faden durch sein gesamtes Werk. Wie Untote tauchen sie immer wieder auf, die Gespenster der Vergangenheit. Zuletzt 2013 in „Epiphanie (Anbetung der Könige 3)“, wo die christliche Ikonografie in einen nationalsozialistischen Kontext gestellt wird. Auch der Führer selbst kommt immer wieder ins Bild: Hitler mit kleinen Mädchen an der Hand (Ohne Titel,1988), Hitler mit Micky Mouse (Ohne Titel,2012). Der surrealistische Zugang Helnweins – die Verbindung von Gegensätzlichem- ist offensichtlich, wie auch später etwa in der Verbindung von Manga-Figuren und Kriegsfotografie.

Helnweins Malerei ist ohne Portraits undenkbar. Da gibt es die vielen Abbildungen seiner Kinder, meist Anna in der Opferrolle, die zahlreichen Selbstportraits mit bandagiertem Kopf und durch chirurgische Instrumente entstellt. Zum internationalen Durchbruch verhalf ihm das „Selbstprotrait als Schreiender, Geblendeter“, das 1982 als Titelbild des Zeit Magazins und im selben Jahr als Cover der LP „Blackout“ der deutschen Rockband Scorpions veröffentlicht wurde. Oft werden die Grenzen von Malerei und Fotografie überschritten/aufgelöst. Eine Fotoserie über Ikonen der Pop-Kultur manifestiert seine tiefe Affinität zur kulturellen Revolution der 60er Jahre. Demgegenüber sind die „48 Portraits“ als singuläres Ereignis einzustufen, zugleich aber ein faszinierendes Beispiel für Helnweins Begabung, Gesellschaftskritik und Marketing synergetisch zu verbinden.


© Foto: Gerhard Axmann


In einem Radiointerview hatte Alice Schwarzer die „48 Portraits“ (1971/72) von Gerhard Richter, überragende Gestalt und teuerster Maler der gegenwärtigen Kunstszene, kritisiert. Richter zeigte in der in Grautönen gehaltenen Bildergruppe 48 berühmte Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Kunst – ausschließlich Männer. Genau 20 Jahre später stellte Helnwein den Arbeiten von Richter seine eigenen „48 Portraits“ gegenüber. Es war eine reine Frauengruppe, in Rottönen gemalt. Die spannende Konfrontation von Richters und Helnweins Werk in der Galerie Rudolfinum in Prag kann als ein weiterer, kräftiger Karriereschub in Helnweins künstlerischer Laufbahn gewertet werden.

Nach Wien, Deutschland und Irland siedelt sich Helnwein 2002 samt Familie in Los Angeles an, wo er sich ein Atelier einrichtet. Er, der die Begegnung mit den Micky Maus-Comics als Kind wie eine Offenbarung gleich einem religiösem Erlebnis empfand und zum „Donaldisten“ wurde, lässt sich in der Heimat Carl Barks, dem genialen Zeichner und Erfinder der Donald Duck-Geschichten nieder. Zwar bleibt Helnwein bei seinem Grundthema der Gewalt, doch seine Bilder werden größer, wachsen durchdrungen von innerer Schönheit zu einer filmischen Monumentalität. Die Welthauptstadt des Films hinterlässt ihre Spuren, doch ändert die neue Umgebung nichts an Helnweins gesellschaftskritischen Anliegen. Seinen Wohnsitz in L.A. beschreibt der Künstler gern als einen Logenplatz, von dem er aus nächster Nähe die Destruktion, den Zerfall des herrschenden Systems verfolgen kann.
In „The Murmur of the Innocents“(2011) stattet er seine kindlichen Opfer mit miliärischen Uniformen und Waffen aus. Sie erinnern an jugendliche Amokläufer in US-amerikanischen Schulen und die maßlose Freizügigkeit amerikanischer Waffengesetze, aber auch an junge Selbstmord-Attentäter im Nahen Osten. In „The Disasters of War“ aus dem selben Jahr steht die Obszönität moderner Kriegsführung am Pranger, die – per Joystick ausgeführt - die Grenzen von Realität und Computerspielen auflöst.
Schon vor der Übersiedlung nach Amerika begann Helnwein sein Äußeres zu „verkleiden“, sich sozusagen als eigener Werbeträger seiner Bilder und seiner Botschaften zu präsentieren. Der verbundene Kopf und die sehbehinderten Augen wurden zu seinem Markenzeichen und sind mittlerweile fixer Bestandteil seines Auftretens in der Öffentlichkeit. Das weiße Verbandsmaterial von früher ersetzt er durch dunkelgraue Tücher, gebunden auf Piraten- oder Bikerart, dunkelgraue Brillen verhindern den Augenkontakt. Schwere Bikerringe und Kette in Silber zu ebenfalls grauschwarzem Anzug und Hemd komplettieren die Darstellung.
Es ist ein Rocker-Outfit, das an Helnweins jugendliches Ideal künstlerischer Existenz als „Mitglied der Rolling Stones“ erinnert. Die Ähnlichkeit zu Keith Richards ist wirklich frappant.
Fragen nach der Bedeutung seines Outfits wiegelt der sonst so eloquente Künstler mit einem lapidaren „Es gefällt mir einfach.“ ab. Umso lieber und mit großer Begeisterung spricht er über die kulturelle Revolution in den 60er Jahren, einer Eruption des Freiheitswillens, die sich in allem manifestiert und das Establishment in Panik versetzt habe. Dagegen führte der Weg neomarxistischer Ideologien dieser Zeit seiner Meinung nach in die Irre. „Aber im kulturellen Bereich war die Power, die wirklich etwas verändert hat..... Deshalb fürchten Diktatoren in erster Linie die Künstler und ihre revolutionäre Ästhetik, die alles penetrieren kann.“ 2) Die beispiellose, ja geradezu beängstigend erfolgreiche Vermarktung der Pop-Kultur scheint ihm nicht erwähnenswert.

So dezidiert Helnwein jegliche Gewalt ablehnt, so wenig kann er auch mit dem Begriff Macht etwas anfangen.Ihm geht es immer nur um Freiheit, das ist das höchste Gut. Auf die Niederungen der Politik will er sich eigentlich gar nicht einlassen. Dass er 2006 zum Ehrenbotschafter Niederösterreichs ernannt wurde und sogar im Personenkomitee für Erwin Pröll zu finden war, bereitet ihm aber keine Schwierigkeiten. Der Landeshauptmann sei ein großer Förderer der Künste, weiß er sich mit seinem Jugendfreund Manfred Deix, der ihn im lokalen Rahmen an Popularität noch übertrifft, einig.
Die schockierenden Bilder Helnweins haben nichts von ihrem Schrecken verloren. Dass sie heute anders aufgenommen werden als vor 40 Jahren, begründet sich in einer gesellschaftlichen Entwicklung, die gegenüber Machtmissbrauch sensibler geworden ist und dessen Verdrängung nicht mehr zulassen will. Eine Entwicklung, zu der der Maler einen eindrucksvollen Beitrag geleistet hat. Auch die begeisterte, teilweise enthusiastische Resonanz auf die große Helnwein-Retrospektive der Albertina weist in diese Richtung. Nach guter österreichischer Sitte könnte man den Künstler schon einmal als Anwärter für einen Orden vormerken. Vielleicht zum 70. Geburtstag?

1) Katalog zur Austellung: Gottfried Helnwein, Hg. Klaus Albrecht Schröder und Elsy Lahner, Albertina 2013
2) Gottfried Helnwein, Interview von David Bogner, Vice, Volume 7, Number 4


Gertraud Artner
Geb. 1948 in St. Pölten, Dr. phil., Akademie der Bildenden Künste (Meisterklasse Rudolf Hausner) und Soziologie an der Universität in Wien, Ausbildung zur Maltherapeutin, lebt in Wien und St.Pölten, in der Kunstvermittlung tätig.

Erschienen im etcetera Nr. 54 / blind / Dezember 2013 mehr...

54/blind/Portrait: Gottfried Helnwein, das Phänomen

Künstlerportrait: Ulrike Truger. Träume in Stein. Eva Riebler

Ulrike Truger
Träume in Stein

 
Foto © Ulrike Truger  

Eva Riebler interviewte die Bildhauerin Ulrike Truger in ihrem Atelier im Prater im März 2012.

Liebe Ulrike, Kafka spielt mit Träumen, fürchtete sich jedoch davor. Er sagte: „Träume sind Ringkämpfe, jede Nacht zu träumen ist anstrengender als zu wachen. Des Morgens sind eine Unzahl an Träumen versammelt. Ich hüte mich, sie anzusehen.“

Ja, das kommt dem nahe, was ich meine, man träumt das, was vermeintlich nicht wahr ist, was nicht Realität werden kann. Mit Träumen sind sehr viele Klischees verbunden. Träume sind nicht immer schön. Viele Träume sind Alpträume, vor allem sind sie verschlüsselt und bilden die Realität unsere Seele ab, was unsere Seele frei gibt, wenn sie vom Verstand befreit ist. Die Träume sind etwas völlig Unbewusstes, sie sind ein Instrumentarium unserer Seele. Sie drücken Dinge aus, die im Wachzustand nicht da sind. Der Traum gibt etwas frei und befreit uns von etwas. Das was hoch kommt, befreit unsere Seele.

Du hast politische Aktionen gesetzt, als Du z.B. 2000 nach den Wahlen die 3 Meter hohe „Wächterin“ aus Statuario Marmor vor dem Burgtheater als Zeichen der Wachsamkeit bei politischen Veränderungen, konkret: Regierungsbildung mit der FPÖ, aufstelltest und im Oktober 2001 mit Stiefmütterchen das Wort „Neutralität“ dort pflanztest oder den „Omofuma“- Stein 2003 aus einem Granit Nero Assoluto aus Zimbabwe verfertigtest. Hast Du Träume in Stein gemeißelt?

Phantasien kann man umsetzen aber keine Träume.

Was war Deine Inspiration bei der Skulptur mit dem Titel „Traum“?

Älter als die Steinskulptur war ein Bronzeguss (1988). Ich wollte ausdrücken, dass hinter der Bewusstseins-Realität etwas vorgeht. Beim Stein kommt die Transparenz des Marmors dazu. Die Durchsichtigkeit. Etwas wird ja durch Träume durchsichtig, sichtbar...

Verleitet nicht jeder Torso den Betrachter das Unfertige zu ergänzen?

Es kann durchaus sein, dass durch die Betrachtung von Kunstwerken wieder Träume und Unterbewusstes hervor kommen und eine persönliche Anreicherung bei der Betrachtung bilden.

Kann man die Statue „Elisabeth, Zwang/ Flucht/ Freiheit“ (1998/99, Carrara Marmor, Höhe 270 cm) als politischen Ausdruck sehen? Der Aufbruch der Frau, versinnbildlicht durch den Mantel?

Der Mantel steht für den Schutz. Der Fächer ist die Zucht. Das Verhaftet sein, sich selbst in die Zucht nehmen, wie es bei der Kaiserin Sissi war. Der Flügel ist die Freiheit. Sie verglich sich mit den Möwen. „Die Möwen sind meine Schwestern“, sagte sie. Ihre Bezugnahme auf die Natur ist bekannt, sie setzte sich dem Wind, dem Wasser aus. Sie lief durch Wiesen und Wälder. Ich hörte vor kurzem die Antwort zur Frage: Was bedeutet Freiheit? „Freiheit bedeutet keine Angst zu haben“. Andererseits sang Janis Joplin: „Freedom is another word for nothing have to loose.” Vielleicht ist die Bewegungssucht Elisabeths nur eine Konsequenz ihrer Ambivalenz. Ich hätte sie nicht machen können, wenn ich mich nicht verwandt zu ihr fühlte.

Arbeitest Du auf drei Seiten gleichzeitig?

Ja, ich gehe herum und arbeite rundherum bis die Skulptur fertig ist. Hrdlicka arbeitet an einem Punkt ins Detail gehend. Vielleicht, weil er von der Malerei kommt. Nicht alle Stellen gelingen gleich gut, obwohl ich rundherum arbeite. 30 Grad eines Werkes jedoch bleiben stets, auf die man immer wieder blickt, weil man vielleicht nicht damit zufrieden ist.

Zum Kontext zwischen Figur und Raum: Bei dieser Marmorfigur „Elisabeth“ empfindest Du den Aufstellungsort (ehedem vor dem Künstlerhaus und dann vor der Karlskirche) nunmehr vor der Hermesvilla im Lainzer Park nicht als idealsten Ort.

Ja, ich präsentierte sie 1999 vor dem Künstlerhaus. Mir wurde dort klar, wie politisch die Kaiserin Elisabeth war. Je mehr die Figur fertig wurde, desto politischer erschien sie mir, daher möchte ich sie wieder mehr im urbanen Kontext stehen sehen.

Ist Dir das Wechselspiel zwischen Rezipient und Konzipient wesentlich?

Das ist das Schöne! Für den einen ist die Skulptur „Die sich Erhebende“ (1979) eine Aufbrechende für den anderen eine Zusammenbrechende!

Du schreibst nie „ohne Titel“ unter Deine Werke, warum?

Ich beziehe oft Stellung, Manchmal kann der Titel auch offen bleiben. Meine Tochter sagte einmal zu einem Werkstück Kleopatra, ich betitelte es Gottesanbeterin, dann Brillenschlange. Manchmal bin ich auch über Hilfen froh. Es sind ja nicht alle Arbeiten politisch, oft sind sie auch poetisch.

Welchen Stellenwert hat Interaktion für Dich?

Die Betrachter sind auch verschieden. Die Skulptur ist ein Gegenüber, einfach mehr als ein Bild. Es ist ein körperliches Gegenüber. Automatisch kommt es zu einer Beziehung. Auch psychisch ist es eine Beziehung und ein Vergleich – ist die Figur kleiner, ist sie größer als ich, ist sie weiblich – männlich etc. Man stellt sich in eine Relation.

Anlässlich Deiner Ehrenmitgliedschaft der Nationalen Akademie für Skulptur hieltst Du an der Universität einen Vortrag. Die Ehrung erfolgte in Peking 2011 ...

Ja, das sehe ich als schöne Anerkennung.

Bekamst Du in Deiner Jugend Unterstützung?

Im Rahmen meiner Kindheit und Jugend hat die Kunst keine Rolle gespielt, sehr wohl aber Musik und Literatur. Ich wollte Mathematik studieren und habe dies auch begonnen. Für meine Eltern war die Kunst nicht in ihrem Spektrum. Ich habe mir das Studium selbst bezahlt.

Siehst Du Deine Rolle als weibliche Bildhauerin anders als die der männlichen Kollegen?

Ja sicher, wie bei allen anderen Positionen müssen Frauen mehr leisten. Selbst für Männer ist die Bildhauerei ein rares Gebiet. Am Anfang war es auch schwierig in der Zusammenarbeit mit Handwerkern im Steinbruch, das hat sich aber schnell gegeben, dies ist kein Problem mehr.

In Bad Homburg gibt es z.B. eine Skulpturen-Biennale. Findest Du ähnliche Biennalen in Österreich wünschenswert?

Leider hat die Skulptur in Österreich sehr an Bedeutung verloren. Wenn wir an die Tradition mit Wotruba usw... denken. Es ist ein ungeheurer Aufwand, bei uns eine Skulptur aufzustellen. Der nicht vorhandene Stellenwert der Skulptur ist ein Armutszeichen für Österreich. Nur das auf das Flüchtige, Zeitgeistige, an die Technik Anbiedernde, die neuen Medien sind im Vordergrund. Die Gefahr ist, dass die Fertigkeiten verloren gehen. Viele Leute wollen Beziehungen haben zum Material, zum Stein. Sie machen Kurse. Sie kommen und wollen schauen und teilhaben. Aber auf der Hochkulturebene hat es zu wenig Stellenwert. Kunst sollte sich nicht anbiedern, sondern auch neue Entwicklungen wahrnehmen, das Fehlende beitragen und visionär sein. Gerade die Sinnlichkeit der Materie sollte gewürdigt werden. Und gewürdigt soll werden, was es heißt, sich an einem Material zu entzünden Ich denke ja in Stein! Ich denke in Stein wie andere in Farbe! Das ist ein Wert des Arbeitens. Des Arbeitens im Dialog. Planen und von jemand anderem dann ausfertigen lassen, ist ja keine Kunst. Die Visuals und visuelle Kunst sind ja nicht mein Stil. Die Skulpturen sind durch ihre ständige Präsenz in die Stadt integriert. Dies ist ja auch bei der Architektur möglich! Das ist schade!

Du verklärst nicht die Helden der Vergangenheit, sondern schaffst Dir Deine eigene Tradition. Trotzdem frage ich: Was wäre Dein Held der Vergangenheit?

Da halte ich es wie bei dem Ausspruch: „Die Tradition ist die Weitergabe des Feuers und nicht die Anbetung der Asche.“ Giacometti wird von mir bewundert. Wotruba ist grandios. Er wird nur unter seinem Wert im Keller des 21er-Hauses präsentiert!

Und Marino Marini?

Ja, natürlich Marino Marini und Niki de Saint Phalle, natürlich Camille Claudel.

Die von ihrer Familie in die Irrenanstalt abgeschoben worden war und dort die letzten 30 Jahre ihres Lebens verbrachte ...

Ja, die Geknechtete...

Ihre Arbeiten wirken weniger glatt und gefällig, wie die ihres Lehrers und Gefährten Auguste Rodin ...

Das finde ich nicht.

Was ist momentan Dein höchstpersönliches Konzept?...

Momentan bin ich noch im Projekt zur „Vermögenden“ gemeinsam mit den burgenländischen Frauen und habe noch den großen Energiestein fertig zu machen. Das Nachbargrundstück mit einem riesigen Wirtshaus habe ich im Burgenland dazugekauft. Es mischt sich alles: das Landleben mit den Überlegungen zu einem eigenen Skulpturenpark, die Landwirtschaft und die Hochkultur. Das ist das Spannende. Im Vorjahr waren doch sehr viele Projekte, die mich sehr viel Zeit und Kraft gekostet haben, vor allem für Schreibarbeit und fürs Organisieren... Heuer möchte ich mich mehr auf die bildhauerische Arbeit konzentrieren. Für den ÖJC (Österr. Journalisten Club) mache ich ein Symbol der Pressefreiheit.

Deine Meinung zu ACTA?

Ich bin ja Botschafterin von „Kunst hat Recht“. Die Diskussion des Themas ist sehr wichtig, wenn sie auch nicht immer glücklich verläuft.

Du bist Botschaftlerin wie Gerhard Ruiss, der die Rechte der Literaten vertritt?

Ja, wie Gerhard und Karl Markus Gauss. Ich bin Vertreterin der Bildende Kunst. Das Klima zu verbessern, wäre dringend notwendig. Die Wahrnehmung und Würdigung künstlerischer Arbeit und geistigen Eigentums wären wünschenswert. Man muss vieles nun anpassen an die neuen Medien.

Ulrike Truger
Geb. 1948 in Hartberg in der Steiermark. Die Mutter war Buchhalterin, der Vater, ein engagierter Kommunist, der als Journalist und Schriftsteller arbeitete. „Der Weg zur Steinbildhauerei war nicht vorgezeichnet“, sagte Ulrike Truger im Rückblick. „Ich musste den Weg zum Stein erst über Umwege finden.“ Der konservativen Vorstellung der Eltern zufolge, sollte Ulrike Lehrerin werden und machte die Matura in der Lehrerbildungsanstalt in der Hegelgasse im 1. Bezirk. In ihrer Jugend trat sie, wie ihre Eltern auch, politisch links engagierten Gruppen bei, was die gesellschaftskritische Künstlerin bis heute geprägt hat. Dieser Tatendrang gegen Rassismus, etwas gegen Ungerechtigkeit tun zu wollen, begleitet sie ihr ganzes Leben.
1967 begann Ulrike Truger ein Studium der theoretischen Mathematik, bereits nach wenigen Semestern beendete sie dieses frustriert, denn Mathematik sei ihr zu wenig körperlich gewesen - sie wollte sowohl geistig als auch körperlich gefordert werden. Die Systematik der Mathematik bildet jedoch nach eigener Aussage eine wichtige Parallelität zur bildenden Kunst.
1971 -75 studierte sie Bildhauerei an der Hochschule für Angewandte Kunst in Wien in der Meisterklasse bei Wander Bertoni. Sie finanzierte sich ihr Studium selbst durch Privatunterricht in den Fächern Latein, Mathematik und Englisch. Im Alter von vierundzwanzig Jahren (1972) stellte die junge Künstlerin zum ersten Mal ihre Objektkästen und Reliefs in der damaligen Galerie Walli in Wien aus. Ulrike Truger befasste sich mit Visueller und Konkreter Poesie.
Nachdem sie 1976 ihr Meisterjahr an der Hochschule für Angewandte Kunst absolvierte, hatte sie einen schweren Autounfall. Von den Verletzungen musste sie sich vier Monate erholen.
Im Jahr 1988 (bis 1990) wurde Ulrike Truger zur Präsidentin des Berufsverbandes Bildender Künstler in Österreich gewählt.
Ab 1990 arbeitete sie fast täglich direkt im Marmorsteinbruch am Untersberg. Diese spezifische Art des Arbeitens in einem Steinbruch und das daraus resultierende Basismaterial für folgende Steinskulpturen bildeten den Grundstein für die darauf folgenden fünf Jahre.
Als Ulrike Truger 1995 wieder mit ihren Töchtern nach Wien zurückkehrte, erwarb sie die „Casa“ in Buchschachen, Burgenland, einen renovierungsbedürftigen Vierseithof aus 1830, der bereits fünfzehn Jahre leer stand. Ein neues Atelier wurde an das alte Bauernhaus angebaut. In Buchschachen wie im Prateratelier in Wien ist es ihr möglich im Freien ihre Steinskulpturen zu bearbeiten.
Von 2007-2008 war sie als Vizepräsidentin des Künstlerhauses Wiens tätig. Bis heute pendelt die Künstlerin wöchentlich zwischen ihrem Prateratelier in Wien, als auch jenem im ländlichen Buchschachen.

Erste Ausstellung:1978 Steirischer Herbst, Graz
Ausstellungen ab 2000:
2001 „Stein-Leben“, Oberwart (P). 2002 „stein leben“,. Wiener Neustadt - Hauptplatz, Kirche St.Peter a.d. Sperr (P). 2008 „stein.“, Künstlerhaus, Wien (P) . 2008 Plakataktion „Dorferneuerung“, Oberwart / Entwurf zur Umgestaltung des „Anschlussdenkmals“ in Oberschützen. 2008 „stein.“, Burgenländische Landesgalerie und Lisztzentrum Raiding. (P) = Personale

Preise und Auszeichnungen (Auswahl) zuletzt:
1981 Staatsstipendium für bildende Kunst. 1983 Wiener Festwochenpreis für Plastik, „Museumspreis der Kasser Art-Fondation“. 1984 Zuerkennung eines Staatsateliers im Prater. 1987 Ehrenmedaille für besondere künstlerische Leistungen der Gesellschaft bildender Künstler Österreichs. 2002 Kunstpreis der Theodor Kery-Stiftung. 2002 Liesl Bareuther-Preis der Gesellschaft Bildender Künstler Österreichs

Kunst im öffentlichen Raum (Auswahl seit 2000):
2000 Wien, Burgtheater: „Wächterin“, Carrara/Statuario Marmor (1986-1988). 2001 Wien, Karlsplatz: „Elisabeth“, Carrara/Statuario Marmor (1998/1999). 2001 Oberwart, Stadtpark: „Aufbruch“, Krastaler Marmor, „Große Liege“, Serpentin Tauerngrün. 2003 Wien, Staatsoper (Oktober), Museumsquartier-Mariahilferstraße (Dezember, bleibend): “MARCUS-OMOFUMA-STEIN”, Afrikanischer Granit. 2009-2011 Wien, Karlsplatz, Nähe Künstlerhaus: „GIGANT – Mensch Macht Würde“, Carrara-Statuario-Marmor

Funktionen
1990 Berufung in den Beirat für bildende Kunst im Ministerium.
1988-1990 Präsidentin des Berufsverbandes bildender Künstler Österreichs. 1989 Leitung des internationalen Steinbildhauer-Symposions Lindabrunn. 2000 Österreichische Kulturwoche in Adis Abbeba, Leitung des Bildhauer Workshops.
2007-2008 Vizepräsidentin des Wiener Künstlerhauses.
2009/10 Gastprofessur am Institut für Interventionsforschung an der Alpen Adria Universität Klagenfurt.
2011 Ehrenmitgliedschaft der Nationalen Akademie für Skulptur (Ehrung in Peking November 2011).

Biografie und Auflistung vgl. Diplomarbeit 2011 Karoline Riebler: Ulrike Truger. Eine österreichische Bildhauerin im öffentlichen Raum und www.ulriketruger.at/biografie

LitGes, etcetera Nr. 48/Traum/Mai 2012 mehr...

Künstlerportrait: Ulrike Truger. Träume in Stein. Eva Riebler

47/Pöbel/ Künstlerportrait: Christian Lackner. Ingrid Reichel

Christian Lackner
iPhone-Kunst. Eine Bestandsaufnahme.

 

Ingrid Reichel lernte den spritzigen und humorvollen Künstler Christian Lackner bei seiner Ausstellung in der Wiener Galerie Bilderwerkstatt im Frühjahr 2011 kennen. Im Trend der heutigen Zeit unterhielten sie sich per Mail und via Facebook über digitale Kunst. www.christianlackner.net

Was ist Kunst?, fragt man sich immer wieder. Tausend Bücher von Experten, doch nicht wirklich eine befriedigende Antwort. Eine seltsame, weil rückschrittliche Frage aus vergangener Zeit holt die Gegenwart ein: Arbeitest du noch mit Pinsel oder schon mit den Fingern? Die Frage hat sich als Zukunftsvision herausgestellt: Touchscreens ermöglichen Fingermalerei. Willkommen in der Zukunft!

Der Kunst wurde mehr als einmal der Tod vorhergesagt, doch mit der technischen Evolution gibt es auch eine künstlerische Weiterentwicklung. Wohlgemerkt nicht die Künstler sind die Visionäre der Technologie, aber sie bedienen sich dieser, um ihre Vorstellungen und Beobachtungen umzusetzen. Sowie die Fotografie sich rasant digitalisiert hat - nebenbei ist sogar die Firma Kodak insolvent geworden, weil sie sprichwörtlich die Digitalisierung verschlafen hat - so schafft es nun auch das Tafelbild durch Smartphones und Computer-Tablets zur Virtualität. Interessant hierbei ist, es bedurfte dafür der Mobilität. Gibt es doch seit Anfang der 80er Jahre bereits das elektronische grafische Zeichenbrett Wacom, auf dem man mithilfe eines speziellen Stiftes wunderbar digital zeichnen, malen oder schreiben kann, vorausgesetzt man besitzt einen Standrechner oder einen leistungsfähigen Laptop mit einem guten Grafik bzw. Fotoprogramm. Obwohl das digitale Zeichenbrett ein übliches Utensil vieler Berufe geworden ist, so hat es die Künstler nicht besonders inspiriert. Grund hierfür könnte eine zu teure Gesamtanschaffung mit null Mobilität sein.

Ganz anders die heutigen erwähnten Kleingeräte, die zwar im Vergleich zu ihrer Größe und Leistung auch teuer sind, aber dafür in die Hosentasche passen, überall benutzt werden können und keinerlei Zusatzutensilien bedürfen. Weg mit dem Pinsel und der Farbpalette, weg mit der Staffelei und der Leinwand, weg von all den sperrigen Werkzeugen! Dabei ist alles erlaubt, es gibt keine Regeln. Warum? Wohl, weil eine neue Form der Kunst NOCH nicht akademisiert ist und daher keiner Ordnung unterliegen kann. Und auch das ist eine Art von Revolution, eine gewaltlose, ja stille Form der Anarchie der unbekannten Künstler. Doch halt!

Natürlich machen sich schon wieder Superstars ans Werk. Unlängst wurde in den Medien groß angekündigt: David Hockney macht auf iPad-Art. Der 1937 geborene, renommierte britische Multitasking-Künstler konnte mit seinen überdimensionalen landscapes im Januar 2012 in der noblen Royal Academy in London Einzug halten. [1] Damit hätte der 75-jährige Hockney seinen Anschluss an die moderne Technologie bewiesen, doch das Revolutionäre an dieser Stilrichtung verschlafen haben. Wozu auf einem iPad arbeiten, wenn es um diese Formatübergröße mit hoher Bildauflösung geht, und sie zu erreichen letztendlich eines schnellen guten Rechners bedarf? Man soll nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen. Es wird sich weisen, in welche Richtung diese Technik sich entwickeln wird.

Unser Heftkünstler Christian Lackner ist auch ein Multitasking-Künstler, seine Situation unterscheidet sich allerdings gravierend von Hockneys Glamour. Gleich als 2007 das iPhone auf dem Markt erschien, kaufte sich der junge Wiener Künstler eines und fand passende Apps [2] dazu. Seither kann unser bildender Künstler und Musiker die Hände von seinem iPhone nicht mehr lassen. Mittlerweile besitzt er auch ein iPad. Insgesamt über 300 Werke sind in kurzer Zeit entstanden und konstant auf seiner Homepage und auf Facebook weltweit virtuell sowie lokal real in Ausstellungen in manchen Bars, Cafés, Restaurants und Galerien in Wien und NÖ zu sehen. Fernab großer Institutionen ist er bestrebt diese neue Stilrichtung in der Kunst zu etablieren, sie der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Dabei sei erwähnt, dass die Arbeit am iPhone eine mühsame ist. Es bedarf einer großen Fingerfertigkeit, sich auf solch einem kleinen Touchscreen zu behaupten und vieler Klicks, bis das Werk vollendet ist.

Alles nur Spielerei? „Die Kunst ist allgemein eine Spielerei, sie spielt genauso mit dem Betrachter wie er mit ihr.”, antwortet Lackner. Im Prinzip könne man alles als adäquate Kunstrichtung bezeichnen und demzufolge am Kunstmarkt etablieren, vorausgesetzt, man will es und kann es sich leisten, meint Lackner. Entscheidend sei der richtige Zeitpunkt: „Wenn der Künstler passt, dann wird es für Sammler von Wert sein, egal was er macht.” Lackner kennt persönlich keine weiteren iPhone-Künstler. „Die iPhone-Art ist nicht sehr verbreitet. Für die meisten wird es zu mühsam sein und oder zu spielerisch. Für mich ist es purer Ernst. [...] Wenn mehr es machen würden, wäre mehr Konkurrenz und mehr Markt, das wäre gut für alle, aber unwichtig für den Künstler, der sich eines Werkzeugs bedient. Ich mach’ deswegen auch sehr viel Unterschiedliches. Das ist so wie mit Aktien spekulieren - ein bisschen da, ein bisschen dort, nur nicht zu viel wegen des Risikos, aber auch nicht zu wenig und schauen, dass man am Puls der Zeit bleibt. Ich denke, in der heutigen Szene musst du als Künstler sehr, sehr aufmerksam sein und alles bedenken und beobachten, ansonsten verpasst du vielleicht deinen Zug und kommst nicht zur richtigen Zeit an.”

Bereits im Alter von 10 Jahren begann Lackner mit Bleistift Fratzen und anders Unheimliches zu malen. „Meine Eltern waren begeistert, aber auch besorgt und schickten mich in eine Zeichenschule und zu einem Psychologen (einmaliger Termin). Dieser meinte, ich hätte anscheinend irgendetwas Schlimmes erlebt oder in meinem Leben davor, oder so. Ich weiß von nichts, bis auf den üblichen Wahnsinn, den man so erlebt. Tja, später so mit 13 Jahren habe ich’s dann auf der Graphischen probiert. Dort musste ich Glühbirnen und Werkzeuge zeichnen. Das war anstrengend, aber okay. Ich hab’ mich gar nicht so schlecht angestellt, aber es dennoch nicht geschafft.”

Als 15-Jähriger hat er sich in die Gitarre verliebt und schaffte es nach kurzer Vorbereitung mit 20 Stunden Üben am Tag, scherzt Lackner, ans Konservatorium. Mit ca. 18 Jahren hat er angefangen, Möbelstücke und Schranktüren mit Lack zu bemalen. „Trashi-Poppi-Schlampi-Irri! Hatte dann keine Möbel mehr (fast) und habe dann vom Müll Türen geholt. Irgendwann hatte ich aber keinen Platz mehr und auch keine Verwendung, deshalb habe ich sie entweder verschenkt oder MA 48 [3] überstellt. Teile davon gibt es aber noch bei mir.” Mit 20 etwa kaufte er sich zum ersten Mal eine Leinwand, bis 10 Jahre später die Wohnung voll war. Nun stand Lackner vor der Entscheidung: “...entweder weg damit - MA 48 - oder verkaufen. Oder zu probieren öffentlich auszustellen und Feed-back zu holen, weil das muss gemacht werden, ansonsten sehe ich keinen Sinn darin mit dem Ding so aufzublühen.” Dazwischen hat er die Kunst gemixt, einige “komische CDs” gemacht, bei einigen “komischen Veranstaltungen” mitgewirkt. Er selbst sieht sich als Instrumentalist seiner Musik, aber auf keinen Fall als Entertainer. „Manchmal mach’ ich auch Spaß, das gefällt den Leuten anscheinend, aber das ist die pure Angst davor, dass sie mir nicht richtig zuhören.”

Lackner fasst sich kurz. Seine Sätze sind im Telegrammstil gehalten, man merkt seine Ruhelosigkeit, seine Freude am Tun. Seine Werke auf Leinwand unterscheiden sich von den digitalen nur im Medium, nicht im Inhalt. Im Moment durchlebt er betreffend der Leinwand und Holzplattenbilder eine Rahmenphase. „Daher ist der Unterschied einerseits das Medium, auf dem es dann sichtbar wird (wie Du ja schon weißt, kann ich meine iPhone-Art auch auf Leinwand oder Fotopapier drucken), zum anderen die Impulsivität des Entstehungsprozesses:

Kleine Leinwand, kleine Möglichkeiten, aber viel Humor und Frechheit und Trash machen es teilweise wieder wett. Bei großer Fläche bin ich freier und kann mehr atmen, aber die Qualität soll bitte nicht verglichen werden. Egal ob 2 MB [4] Bild mit 13 Patzen Farbe oder 10 cm Bild mit 1500 Farben. Es gefällt oder nicht. Es ist eine Stimmung, nach der mir sein muss.”

Auf die Frage, ob es ihm inhaltlich auch um Politik, Mobilisierung, Meinungsbildung geht, antwortet er: „Nö, das kotzt mich ziemlich an sowas. Alles, was mit dem Ding zu tun hat, wie Politik oder Bewegen oder Diskussionen oder so, mich bitte damit in Ruhe lassen, dafür bin ich auch nicht gebildet genug, um da mitzusprechen und Politik ist eigentlich überall, deshalb kann man, wenn man sucht und will, sicher auch bei meinen Sachen etwas davon finden. Selbst ich kann das. Das ist dann der offizielle Reiz an der Kunst. Ich glaub’ dann wird sie wertvoller, aber trotzdem, mir egal. Hauptsache, die kaufen meine Bilder und hängen sie in ihre Kanzleien, dann kann ich mit meiner Bestrahlung beginnen.”

Bei der iPhone-Art stellt sich unweigerlich die Frage nach dem Original. Wie löst Lackner dieses Problem? „Ich habe mir ein Siegel mit meinen Initialen “CL”- soll zugleich auch mein Künstlername und Erkennungsmerkmal sein - anfertigen lassen und verwende unterschiedliche Wachssiegelfarben. Plus, ich signiere die iPhone-Bilder auf dem Ausdruck immer. Manche limitiere ich auch mit einer gewissen Stückzahl. Das machen schließlich alle und hat was von Künstlertradition. Auch im Street-Art-Bereich [5], der mir gerade sehr wichtig ist, kannst du das vermehrt finden. Ich habe seit ein paar Monaten damit geflirtet und es gefällt mir. Mal sehen.”

Lackner macht auch Skulpturen und Installationen. Gartenzwerge sind ein immer wiederkehrendes Thema. Welchen Reiz strömen sie aus, was verbindet Lackner mit ihnen?

„Gartenzwerge sind stresslos. Sie sind friedlich und blöd und komisch und naiv und stehen in jedem Ö Garten. Hätte ich einen Garten, würd’ ich nur echte reinstellen. Die kann ich bemalen und müsste nicht aufpassen, dass ich den Kunstmarkt der Gegenwart treffe, oder doch? Naja, das, was mir gefällt, wird von mir behandelt und da schleicht sich auch ab und zu ein Gartenzwerg ein. Aber politisch oder sozialkritisch soll es von mir nicht sein, kann aber, mir egal. Was der Betrachter interpretieren will, soll er selbst entscheiden dürfen. Fakt ist: Die sind irre, wer hat die erfunden?”

Sein persönliches Statement zum Thema Pöbel?

“Bäckerschupfen - Pelztragen - Jugend wird von Alter respektlos abgewertet - Respektlosigkeit allgemein - Pöbel ist ziemlich vom Aussterben bedroht! Man muss das ändern - gebt dem Pöbel ein paar Möbel! Danke.

 

[1] David Hockney RA: A Bigger Picture 21.01. - 09.04.2012, Royal Academy, Main Galleries, London
Video: http://www.royalacademy.org.uk/exhibitions/hockney
[2] engl. Kurzform für application: Anwendungsprogramme bei Smartphones und PC-Tablets
[3] Abfallwirtschaft, Straßenreinigung und Fuhrpark des Magistrats der Stadt Wien
[4] Kurzform von Megabyte. Byte ist die Maßeinheit in der Digitaltechnik und Informatik mit Faktor 210 = 1024: 1 Kilobyte (kB) = 1024 Byte, 1 Megabyte (MB) = 1024 Kilobyte = 1024
[5] Kunstbewegung, die sich ausschließlich im öffentlichen Raum abspielt: Graffitis, Murals, Bodenmalereien, Stencils (Schablonenkunst), Aufkleber, Stickers, Pasts-Ups (mit Kleister und Leim aufgezogene Plakate), Straßenmöbel und Installationen.

Christian Lackner
Geb. 1979 in Wien. 1993-1995 SDV (Schule für Datenverarbeitung), 1995-2002 Vienna Konservatorium mit Hauptfach Jazz/ Rock/ Fusion-Guitar bei Fritz Steiner. Ab 2000 parallel “VMI” (Vienna Music School), Abschlussdiplom in Jazzgitarre. Beruflich viele Studentenjobs: Marktforscher, Flyerverteiler, Fiakerkutscher (Das war wohl das Irrste!), Museumsaufsicht, Rettungssanitäter. Brotjob zurzeit als IT-Administrator einer Firma in Wien. Seit 1998 Beschäftigung mit Malerei in Lack, Acryl, Vinyl auf Holz und Leinwand u.v.m.
2007 Entstehung der CL iPhone-Art Ausstellungstätigkeit seit Herbst 2010 in Wien und NÖ in Cafés, Restaurants, Bars, Galerien: Fratz: Trotzki-Bar, Wien; Sehfeld: Kantine Schauspielhaus, Wien; Mutante Fratz: Café Wirr, Wien; Von Amore bis Zipf: Café Club International, Wien; iPhone-Art the next generation: Café XI, Wien; eSel Cubicle Opening/ Schließfachinstallation: eSel Rezeption/ Quartier 21, Wien; A(C)LL: Galerie Bilderwerkstatt, Wien; 2. Puchberger Kunststraße: Hansis Red Zac Shop, Puchberg am Schneeberg; Vulkan: Kantine Museumsquartier, Wien; Café Lokal So, Wien.
Ab März 2012: Kantine Schauspielhaus, Wien!
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47/Pöbel/ Künstlerportrait: Christian Lackner.  Ingrid Reichel