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Angélique Kidjo. Rez.: Eva Riebler

Eva Riebler
Freude-Ekstase

 

 

Angélique Kidjo
Festspielhaus St. Pölten, Großer Saal
02.04.2011, 19.30 Uhr
Angélique Kidjo: Gesang
Rody Cereyon: Bass
Dominic James: Gitarre
Magatte Sow: Afrikanische Perkussion
Daniel H. Freedman: Schlagzeug

 

Angenehm wurde das Publikum von erfrischender Musik vorab eingestimmt. Das Licht unterstützte stets die Verbindung von Zuseherraum und Bühne und leuchtete nicht nur Bühnenraum und Plafond sondern auch die Seitenwände an und begleitete die Musik mit passenden Bewegungen, Mustern und erzeugte eine Verknüpfung, eine Vernetzung.

Angélique Kidjo brachte als Vertreterin ihres Heimatlandes Benin und als Sonderbotschafterin von UNESCO und UNICEF ein Herz für Afrika, gepaart mit einer kraftvollen Stimme mit. Ihr liegen die Arbeitslosen und vor allem die Kinder Nord-Afrikas am Herzen, die, um Arbeit zu finden, in alle Länder dieser Erde gehen müssen. Es geht ihr um die Verbindung der Kulturen, um das Netzwerk. Sie zeigt die Globalisierung musikalisch in ihren Songs, die Rhythm & Blues, Jazz und Funk, Afrika mit Lateinamerika und Indien mit Europa verbinden und vermischen. Außerdem kontrastierte sie mit zwei ausgesprochen melodischen Songs ihres Vaters, die die Beninische-Musik ihrer Kindheit zeigten.

Mit körperlichem Einsatz bewegte sie sich schweißtreibend von der Bühne ins Publikum, erklomm 2 Stufen nehmend den Rang und zog die tanzbereiten Gäste aus dem Publikum auf die Bühne. Mit ihrem jungen afrikanischen Perkussionist Magatte Sow verleitete sie diese zu Höchstleistungen im Solo-Steppen oder Bautanz. Mit ihren Tanzeinlagen konnte jedoch bis zum Schluss, inklusive der tollen Zugabe, keiner mithalten. Genauso kraftvoll klang ihre Stimme. Sie durchdrang und lud den ganzen Raum auf. Egal welchen Alters, von 15 bis 75, konnte sie mit ihrem Überschwang und Können begeistern.

Das, was eine Woche vorher James Hunter nicht im Festspielhaus erzielte, wurde nun 10-fach unters Publikum gemengt: Nämlich Freude und Stimmung, dafür gab es ekstatischen Beifall.

Angélique Kidjo. Rez.: Eva Riebler

Foodchain: Grayson Millwood & Gavin Weber. Rez.: Eva Riebeler

Eva Riebler
Darwin retour
oder: Der Mensch ist des Menschen Wolf/Bär

 
FoodChain
Millwood/Webber
Festspielhaus St. Pölten, Bühne
01.04.2011, 19.30 Uhr
Produktion: pvc tanz freiburg heidelberg
Choreografie, Regie und Tanz: Grayson Millwood, Gavin Weber
Tanz: Tommy Noonan, Kate Harman, Gabrielle Nankivell, Josh Thomson

In der Tanzperformance Food Chain geht die Evolution den Weg zurück. Das wilde Tier wird zivilisiert, lernt zu denken, Fallen zu stellen oder zu filmen und macht sich Gedanken über die ausgestopften Menschen im Museum. Wie war ihr Paarverhalten, welchem Stress waren sie ausgeliefert usw.? Diese wilden Tiere, die den heutigen Platz des Menschen beanspruchen, sind vornehmlich Bären, die sich ihre Stellung durch Schläue und Brutalität erworben haben – und die Menschen waren z. T. selbst am Untergang ihrer Zivilisation Schuld, da sie tierischer als jedes Tier sich verhielten - soweit der pädagogische Zeigefinger. Die Nahrungskette kann ja auch umgekehrt sich entwickeln, wenn das höhere Wesen, der Mensch, tierische und das niedere, der Bär, menschliche Züge entwickelt.
Die Würze ist unser verinnerlichtes Klischee von der romantischen Vorstellung der Natur, das in Food Chain ironisch demaskiert wie umgedreht wird und zur Bedrohung und Auslöschung unserer Rasse führt.

Die Handlung bekommt zusätzlich durch das unnachahmliche Gleiten, Jagen und fantastische Interagieren in Bewegung und Tanz, Qualität und Raffinesse.
Ein köstlicher, fantasiereicher Abend, der choreografisch ausgereizt war und bewundernswerte Bewegungen zeigte.
Obwohl Gavin Webber aus dem Vorjahr im Festspielhaus St. Pölten mit seinen erfolgreichen Produktionen „Remember Me“ und „Lawn“, bei denen er bereits mit Grayson Millwood zusammenarbeitete, bekannt ist, blieb ein größerer Andrang seitens des Publikums leider aus.

Foodchain: Grayson Millwood & Gavin Weber. Rez.: Eva Riebeler

James Hunter und Band. Rez.: Eva Riebler

Eva Riebler
Stimmung macht die Musik!

James Hunter und Band
Festspielhaus St. Pölten, Großer Saal
24.03.11, 19.30 Uhr
James Hunter: Gesang/Gitarre
Damian Hand: Tenorsaxofon
Lee Badau: Baritonsaxofon
Jason Wilson: Kontrabass
Jonathan Lee: Schlagzeug
Andrew Kingslow: Keyboards

Vor fünf Jahren gelang James Hunter sein großer Durchbruch mit seinem Album „People Gonna Talk“, das in Amerika erschienen war. Nun hat sich der 1962 geborene Essexer seinen Platz im Pop-Soul-Geschäft erobert und muss nicht mehr als Backup-Sänger Van Morrisons oder als Straßenmusiker durch England tingeln.

Leider sucht er den Kontakt zum Publikum des Festspielhauses zu wenig, setzte zuwenig Empathie ein und spielte notorisch Stück auf Stück, ohne diese ineinander über- oder aufgehen zu lassen. So sank die Stimmung stets in der Pause vor dem nächsten Werk und konnte nach dem Warmspielen der ersten fünf kurz aufflackern, aber nicht bleibend Fuß fassen.

Die kühle Tonmischung und das vielleicht zu einem Drittel oder Viertel besetzte Haus ergaben weiters einen zu kalten, vielleicht zu sterilen Klang.

Impressing the Czar: William Forsythe. Rez.: Eva Riebler

Eva Riebler
Zerstören wir das Klischee!
Die Revolution des Tanzes frisst ihre Kinder.

 
IMPRESSING THE CZAR
William Forsythe
Royal Ballet of Flanders
Festspielhaus St. Pölten, Großer Saal
19.03.11, 19.30 und 20.03.11, 18 Uhr
William Forsythe: Choreografie
Kathryn Bennetts: Künstlerische Leitung
50 Tänzer/innen des Royal Ballet of Flanders
Musik: Thom Willems, Leslie Stuck, Eva Crossman-Hecht, Ludwig van Beethoven
Bühne: Michael Simon
Kostüme: Férial Simon

Fünf Stücke, Spieldauer über zwei Stunden, zwei Pausen:
1.
Potemkins Unterschrift
2. In the middle, somewhat elevated
3. La Maison de mezzo-prezzo
4. Bongo Bongo Nageela
5. Mr. Pnut goes to the big top

Eine Persiflage jagt die andere. Zuerst soll das klassische Renaissance-Ballett, das gewohnt ist, würdevoll in rauschenden Seidenkostümen vor dem Zaren aufzutreten, in seinen tänzerischen Bewegungen zu Beethovens Musik kritisch aufs Korn genommen werden, dann sind es die renommierten lebenden Figuren von klassischen Brettspielen, die sich selbsttätig bewegen und aus den ihnen zugeordneten Rollen fallen. Alles scheint in Bewegung und nichts ist so, wie es sein sollte. Jedoch genau dies will das moderne Publikum von einem modernen Tanz-Ensemble. Die Revolution des Tanzes frisst ihre Kinder! Der Star jedes russischen Balletts, der Faun ist von goldenen Pfeilen durchbohrt und erleidet ähnlich wie der Hl. Sebastian sein Martyrium. Die Hofdame mit dem Vogelkäfig am Kopfe wird genauso mit Pfeilen durchzogen und der Dreizack sowie andere Speere werden zur gegenseitigen Bedrohung aufeinander gerichtet.

Es entsteht jedoch durch die Zerlegung des Epochen-Tanzes kein Zeitraffer-Ballett, sondern eine Choreografie, die auf Eigenwilligkeit mit Konzept basiert!
Alles ist in Um- und Verwandlung begriffen und keine Ikonografie soll bestehen bleiben. Die Bedeutung einer goldenen Kirsche ist das einzige Requisit, das hoch gehängt als mögliches Symbol überlebt. Man kann dieses nun mit Bedeutung überfrachten, jedoch bleibt es ein Dingsymbol, das hoch genug hängt und wie die Trauben vor der Nase Reineckens baumelt.
Die Hinterfragung und Zerstörung muss weiter gehen.
Dieses Thema wird mit ungeahnter Ausdauer, Konzentration, Schnelligkeit und einfachem puritanischem Ballettvokabular in Solo-Choreografie wie Massentanz umgesetzt.

La Maison de mezzo prezzo, die dritte Choreografie, lässt alle tänzerischen und kulturellen Versatzstücke unter den Hammer kommen und macht neugierig auf das, was nun übrig bleibt: 50 einfache College-Girls sind das Erbe, das anscheinend noch verblieben ist. Sie hopsen, stampfen und rennen wild im Kreis und durcheinander und füllen als Masse auch die dunklen Randzonen der Bühne. Das goldene Kalb (der einzige männliche Tänzer liegt hingestreckt) in ihrer Mitte kann als geschlachtet bezeichnet werden, auch wenn es im letzten Teil der Choreografie teils rhythmisch teils gegen den Strom wieder mithüpft. Die Schulmädchenuniformen der 50 TänzerInnen in Bongo, Bongo, Nageela zeigen genauso die Einfachheit und Schlichtheit, denn auf Ausdruck und Bewegung kommt es an. Die Choreografie, Licht, Design und die Kostüme wollen keine Klischees bedienen. Disco-Dance soll genauso wie ethnologische Reigentänze bruchstückhaft vorkommen und einfach zeigen, dass beide verwandt sind und ineinander übergehen.

Die Compagnie durchtanzt die 5. Choreografie Nageela und versinnbildlicht als wild gewordene Horde das Glücksgefühl in Bewegung wie auch im Gesichtsausdruck. Heißt doch der Titel des israelischen Liedes „Hava Nagila“ „Lasst uns glücklich sein“! Die Herde der frechen Schulmädchen treibt die klassischen, stereotypen Schritte aus. Glück und Zerbrechung der Konvention treibt den Tanz an.

Ja, so witzig, spritzig, humorvoll und kühn mit Traditionen brechend, kann Ballett getanzt werden!
Bewundernswert ist nicht nur das Brechen von Tradition, das Aufgeben offensichtlich vordergründiger, stupider harmonisierender Tanzkonzepte, sondern eine neu zusammengefügte und kontrastierende Tanzweise, die unheimlich viel Kühnheit, Temperament und Ausdauer von den TänzerInnen fordert.

Das Publikum sieht eine Choreografie, die improvisiert und sprunghaft wirken soll, um dem kitschigen Gleichklang eines auszuwischen. Dies ist der dringliche Wunsch, der strikt und stringent an diesem Abend in die Tat - in den Tanz - umgesetzt wird.

Der Kampf gegen das zeitgenössische Ballett ist gewonnen!

Impressing the Czar: William Forsythe. Rez.: Eva Riebler

Tamburi Mundi. Rez.: Eva Riebler

Eva Riebler
Tanzende Finger – Dialog der Kulturen

 
TAMBURI MUNDI
Internationales Festival für Rahmentrommeln
Festspielhaus St. Pölten, Hinterbühne
05.03.11, 19.30 Uhr
Musikalische Leitung: Murat Coskun
Mitwirkende:
Ensemble Tamburi Mundi:
Murat Coskun, Gilson de Assis, Gürkan Balkan, Sattor Fozilov, Maryam Hatef, Annette Maye, Michael Metzler, Andrea Piccioni, Ramesh Shotham, Mohsen Taherzadeh.
Alice Gartenschläger: Tanz
Baadma Badamkhorol: Gesang
Special guests:
ensemble FisFüz (Oriental chamber jazz) Klarinette, Oud, Percussion
11 Musiker aus China, der Mongolei, Brasilien, Tadschikistan, Istanbul, Madras, Isfahan, aus dem Iran: Percussion, Gesang, Rahmentrommel, Türkische Laute. Klassische Gitarre, Konnakol, Tanbour, Schwanenhalslaute
Leitung: Murat Coşkun

Murat Coskun studierte Orientalistik, befasste sich mit der Musik Italiens, Vorderasiens und Osteuropas und steht als international anerkannter Perkussionist zwischen den musikalischen Welten des Orients und Okzidents. Weltweit konzertiert er mit seinem Oriental Jazz Ensemble Fis Füz mit dem Soloprogramm „Finger Dance“. Als Gründer und Leiter des Festvals Tamburi Mundi, das alljährlich in Freiburg sowie in der Türkei, in Italien, im Iran oder erstmals auch in St. Pölten stattfindet, hat er sich für Rahmentrommel als Tonangebendes Instrument entschieden.

Dem Tamburin kann man nicht nur bei großer Fingerfertigkeit jede Art von Tonfolgen entlocken, Michael Metzler konnte mit drei Tamburinen verschiedener Größen, dem Publikum auch szenisch Geschichten der Liebe erzählen. Die atemberaubende Fingerfertigkeit und Geschwindigkeit konnten Gilson Assis, Ramesh Shotham und Andrea Piccioni auf seinem italienischen Tamburello in ihren Solo Improvisationen vorführen.

Als Frau aus dem Iran, aus Isfahan, war es Maryam Hatef erlaubt bei uns auf der Bühne mit der Daf, der iranischen Rahmentrommel, zu brillieren und nicht wie im Iran nur im nicht öffentlichen Raum Unterrichtsleistung zu erbringen.

Die Instrumente traten in den Dialog zu Stimme/Lauten oder Tanz und zeigten weiters die universelle Bedeutung der nonverbalen Sprache als Mittler zwischen den Kulturen.

Einmal wurde die weite Steppe mit nichts als dem Himmel darüber spürbar, einmal die Verklammerung von Tönen aus dem Bosporus, aus Tadschikistan mit denen aus Süd-Indien und ein andermal der Dialog der As-Klarinette mit persischen Lauten.

Eine Bühne voller exzellenter, erfahrener Weltmusiker, die weiterhin im Fluss blieben, schreitend, stampfend, tanzend, sich gegenseitig inspirierten, ihren Körper als Klang- und Resonanzraum abklopften und dem Publikum die Rahmentrommel als Völker verbindendes Musikinstrument zeigten.

Ein wundervoller nonverbaler Dialog der Instrumente und Stimmen mit Händen und Füssen!

LitGes, März 2011

Tamburi Mundi. Rez.: Eva Riebler