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7734: Jasmin Vardimon Co. Rez.: Peter Kaiser

Peter Kaiser
ALLES SCHÖNE…

 
7734
Jasmin Vardimon Company
Festspielhaus St. Pölten, Großer Saal
26.02.2011, 19.30 Uhr
Choreographie: Jasmin Vardimon
Einführungsgespräch mit Angelika Worseg

Das Nebeneinander des Schönen und des Schrecklichen, seine gegenseitige Bedingtheit und die oft unsichtbare Bruchlinie oder der Kippmoment zwischen diesen beiden ästhetischen Begriffen sei das Thema des Stückes von Jasmin Vardimon, war von Angelika Worseg in der Einführung zu hören.

Ein altes Thema und ein großes Thema, welches uns durch die gesamte Kunsttheorie verfolgt. Dieses Thema am Lager und ganz explizit am Konzentrationslager abzuarbeiten, war Vardimons Ansatz und war damit auch gleich zum Scheitern verurteilt. Die Tatsache des Holocaust, welche die israelitische, in London lebende Choreographin, naturgemäß interessiert, eignet sich zur Darstellung dieses metasprachlichen Diskurses nicht. Der absolute Horror des Lagers verwehrt sich gegen jegliche Ästhetisierung. Die Faszination mag von der blutgeschmierten Tötungsmaschinerie ausgehen, von der Qual und dem Leichenberg nicht. Es gibt einen Grund (welcher in diesem Stück nicht gefunden wird), warum die tatsächlich Betroffenen darüber sehr schwer sprechen können. Die Darstellbarkeit einer Komplexität des Schreckens ist begrenzt.

7734 meint auf den Kopf gestellt hELL. Der Bordcomputer in Stanley Kubricks 2001 heißt HAL und meint das Gleiche: die von Menschen gemachte Höllenmaschine(rie). Des Menschen Werk hat die Eigenschaft zum Teufelswerk zu mutieren. Da wie dort. Heute wie damals.

Im Konkreten aber, geht der Versuch einer Spurensuche Vardimons auf: Wenn sie von einem Moment auf den anderen das Opfer zum Täter werden läßt und umgekehrt. Die Blondine im knappen Schwarz mit hohen Stiefeln schreitet auf das Publikum zu und mit ihr die Macht der Schönheit. Denn eines wohnt beiden Begriffen inne, dem Schönen wie dem Schrecklichen (und damit dem eigentlichen Objekt), die Macht über den Betrachter, welcher damit selbst vom Subjekt zum Objekt mutiert. Wenn diese ästhetisierte Erotik dann plötzlich Kraft ihres Körpers die Ohnmächtigen ihrem grausamen Willen unterwirft. Es ist immer die Macht und die Möglichkeit ihrer Ausübung, welche korrumpiert.

Der zweite Kippmoment passiert in der Entmachtung der Frau und ihrer bildschönen Kreuzigung. Das ist darstellbar und selbst hier knapp an der Grenze zum Kitsch.

Die wunderbare Anfangschoreographie zu Wagners Tannhäuserouvertüre mit einem ironischen Dirigat von bunten, lebendigen Tüchern und den sehr leidenschaftlichen Umarmungen eines Paares, zeigt Vardimon als phantasievolle Künstlerin. Die sehr geschmeidige und bewegte Choreographie mit orientalischen Einschlägen vor allem der Armbewegungen und ausgesprochen starken Gruppenszenen spiegeln klar ihre Stärke und ihr Können wieder.

Der Einsatz von großen Lumpenmengen und seine starke Symbolik, sowie ein Wachturm, mit wechselnder Bedeutung, stellen den Gutteil der Staffage. Gesprächssentenzen zu den Themen Erinnerung und die Aufgabe des Künstlers in der Gesellschaft, wirken bemüht und scheinen der Selbstrechtfertigung zu dienen.

Dennoch: die Vermengung von KZ und Urlaubsplauderei funktioniert nicht. Das letzte Bild eines Leichenbergs mit der drapierten Nacktheit der Tänzerinnen, umhüllt von Bühnenrauch, ist mehr als grenzwertig und eigentlich eine Hybris der Künstlerin, um nicht zu sagen eine Geschmacklosigkeit.
Bilder wie diese überlagern die unpathetischen Momente in ihrer ganzen bildlichen Strahlkraft.
Große Fragestellungen überlasse man den großen Geistern (wo immer die momentan auch sein mögen).
Die Jasmin Vardimon Company wurde 1997 in London gegründet und ist seit 2006 eng mit Sadler´s Wells verbunden.

7734: Jasmin Vardimon Co. Rez.: Peter Kaiser

Far: Wayne McGregor. Rez.: Eva Riebler

Eva Riebler
Gefühle sind Luxus

 
FAR
Wayne McGregor
Random dance
Festspielhaus St. Pölten, Großer Saal
19.02.2011, 19.30 Uhr
Konzept, Regie und Choreografie: Wayne McGregor
Musik: Ben Frost
Kostüme: Moritz Junge
Bühne: Random International
Beleuchtung: Lucy Carter
Tanz: Jessica Wright, Paolo Mangiola,
Michael-John Harper, Louis McMiller,
Alexander Whitley, Davide Di Pretoro,
Agnes Lopèz Rio, Daniela Neugebauer,
Catarina Carvalho, Anna Nowak
Österreich-Premiere

Wayne McGregor, der Resident Choreograph of The Royal Ballet Covent Garden, war bereits im Vorjahr mit „Entity“ erfolgreich in St. Pölten.
FAR wurde wiederum koproduziert von Sadler´s Wells, London und Peak Performances, Montclair, USA.

Die bekannte dunkle Bühne bekam dieses Mal eine Metallplattform mit Lichtdesign, betreut von Lucy Carter. Die klug eingesetzten Lichteffekte gaben dem Bühnenbild einen klaren, metallenen Touch, vermehrten jedoch durch das Gegenlicht ein klein wenig die Anstrengung des Beobachtens aus dem Zuschauerraum. Die zehn Tänzer bewegten sich daher teilweise im Schattenbereich, was das Auge mit der Zeit ermüdete, jedoch Schemenhaftes dazu fügte. So klar und passend modern wie die Ausstattung war die Musik, die den Herzschlag stimulierte. Krass und bewusst in der Führung waren die Bewegungen der Tänzer und Tänzerinnen. Die Choreographie zeigte vor allem die Vergeblichkeit positiver menschlicher Beziehungen. Probleme im mitmenschlichen Bereich wurden aufgeworfen, jedoch keinesfalls wie bei klassischen Rahmenhandlungen oder bei Flamenco-Tänzen gelöst. Die Frau lässt sich nicht mehr unterwerfen, ist jedoch der Sicherheit oder diverser Liebesbeziehungen beraubt und kann weder Vertrauen aufbauen noch ausdrücken. Im Tanz wie im alltäglichen Leben zeigt sich das Chaosprinzip. Symmetrie wird angestrebt, aber sofort wieder zerrissen und im raschen Lauf aufgelöst. Um den Herausforderungen des Lebens gerecht zu werden, darf nicht gerastet oder Sinnlichkeit verströmt werden. Zärtlichkeit und fließende Geschmeidigkeit bleiben auf der Strecke und nur in der letzten Szene wird der Tanz, trotz Gleichwertigkeit von Mann und Frau, inniger. Aber zu kurz ist diese Liebesverbindung und der jähe Tod streckt die Tänzerin auf die Bühne.

Vom Inhalt her ein Stück, das wenig Herzenswärme oder lohnendes Vertrauen, sondern eher die mitmenschliche Kälte, Vereinzelung und eine auf sich selbst geworfene Lebensproblematik zeigt und von der Tanzperformance her eine überzeugende, stimmige Präsentation ergibt.

LitGes, Februar 2011

Far: Wayne McGregor. Rez.: Eva Riebler

Dresdner Philharmonie. Rez.: Eva Riebler

Eva Riebler
Es muss nicht immer Rosenkavalier sein

 
Dresdner Philharmonie
Festspielhaus St. Pölten, Großer Saal
16.02.11, 19.30 Uhr
Dresdner Philharmonie
Dirigent: Rafael Frühbeck de Burgos

Carl Maria von Weber: Ouvertüre zur Oper Oberon
Richard Strauss: Suite aus der Oper Der Rosenkavalier
Johannes Brahms: Symphonie Nr. 1 c-moll op. 68

Aus Gründen der Referenz hat der Dirigent Rafael Frühbeck wie bereits in der Aufführung in Wien den Rosenkavalier nach der Ouvertüre aus dem Oberon als Programmpunkt einstudiert.
In dieser Potpourri-Ouvertüre erahnt man die flatternden Geister, die das Horn Oberons stets rettend vereint.
Die Fassung der Rosenkavalier Suite des aus Polen in die USA emigrierten Dirigenten Artur Rodzinski von 1945 weist einige Ungewöhnlichkeiten auf. So sind die Übergänge schlicht und einfach krass und zu den innigen, leichten und lichten Tönen der Liebenden (einmal die ältere Marschallin und ihr Geliebter Octavian, dann Octavian und die junge Sophie) in starkem Kontrast. Aufgewühlt durch die vielstimmige, laute Wirtshausmusik empfindet man das Münden in den gewohnten Dreivierteltakt des Walzers wie eine Erlösung.

Johannes Brahms Symphonie erklang mit gewohntem Paukenton und starken Höhepunkten, die sich entspannten und auffächerten. Das Adagio im letzten Satz erklang kräftig und kontrastierte die anschließenden Allegri wohltuend.

Brillant dirigiert (wiederum ohne Notenblatt) und orchestriert und gespielt zeigten vor allem die beiden Zugaben die Vorliebe von Dirigent und Orchester für die spanischen Rhythmen und Klänge. Diese Begeisterung wurde vom Publikum im vollbesetzten Festspielhaus gebührend honoriert.

LitGes, Februar 2011

Dresdner Philharmonie. Rez.: Eva Riebler

Play: Sidi Larbi Cherkaoui. Rez.: Eva Riebler

Eva Riebler
Ich spiele, wenn ich tanze. Ich tanze, wenn ich spiele.

 
Play
Sidi Larbi Cherkaoui
Festspielhaus St. Pölten, Großer Saal
29.01.11, 19.30 Uhr
Österreich-Premiere
Choreografie, Regie, Tanz und Gesang:
Shantala Shivalingappa und Sidi Larbi Cherkaoui
Live-Musik:
Gesang und Harfe: Patrizia Bovi
Perkussion und Hackbrett: Gabriele Miracle
Violine: Olga Wojciechowska
Kodo-Trommel:Tsubasa Hori
Lichtdesign: Adam Carrée
Kostüme: Alexandra Gilbert
Masken: Narayanan Akkitham
Künstlerische Beratung: Arthur Nauzyciel
Eine Produktion von Eastman vzw. in Koproduktion mit Sadler’s Wells Theatre, London.
Mit Unterstützung der Jerwood Studios im Sadler’s Wells Theatre und dem Het Toneelhuis, Antwerpen.

Sidi Larbi Cherkaoui ist ein flämisch-marokkanischer Choreograf und Tänzer, der die kulturübergreifenden Inszenierungen liebt. Im Oktober 2010 war er bereits mit seiner Tanzperformance „Babel“ im Festspielhaus St. Pölten. Diesmal war es besonders indische und chinesische Musik sowie mittelalterliche Klänge, die instrumental, unterlegt mit Gesang live (Patrizia Bovi, Gabriele Miracle, Olga Wojciechowska, Tsubasa Hori) von der Bühne geboten wurden.

Einfache Videoinszenierungen zeigten vor allem Schachspiele und rhythmische Handspiele, die auf der Tischplatte des Bühnenrequisits vollführt wurden.

„Play“ ist jedoch vor allem eine Tanzperformance, die das Aufeinandertreffen von Spielern und Spielfiguren, vorwiegend als Stoffpuppen, und deren gegenseitige Durchdringung und Beeinflussung zum Ziele hat. Jedes Spiel, besonders Brettspiele wie das Schach erfordert Geist, Können und Technik. Genauso verhält es sich mit den beiden Tänzern, die als Menschen oder Puppen agierten. Das Aufeinander-Eingehen und gekonnte Reagieren ist ebenfalls bei Spiel wie Paartanz notwendig und zielführend. Als Cherkaoui wie ein Marionettenspieler seine Partnerin Shantala Shivalingappa dirigierte, kam die Realität des Alltags der untergeordneten Stellung der Frau in vielen Ländern, vielleicht war Indien gemeint, zum Ausdruck. Die Tänzerin Shialinappa stammt aus Indien und wuchs in Paris auf und ist dem bedeutenden klassischen indischen Tanzstil, dem Kuchipudi, verbunden. Diesen tanzte sie besonders kraftvoll mit anmutig verbundenen Gebärden. Ihre komplex ausgefeilte Handhaltung und Handbewegung erinnerte stets an Indische Gestik und Mimensprache.

Die verschiedene Szenengestaltung der Tanzstücke und das Verschränken der kulturellen Bräuche in Tanzbewegung und Musik sowie der ständige Bezug zu Gesellschaftsspielen machten den Abend facetten-, nuancen- und so abwechslungsreich.

Play: Sidi Larbi Cherkaoui. Rez.: Eva Riebler

Le Sacre: Le Groupe Grenade. Rez.: Peter Kaiser

Peter Kaiser
3 X LEBEN

 
LE SACRE
Le Groupe Grenade
Festspielhaus St. Pölten, Großer Saal
03.12.2010, 19.30 Uhr
Choreografie: Josette Baïz und Le Groupe Grenade
Kostüme
: Patrick Muru (Sacre); Muriel Ferrari (Duo)
Lichtdesign
: Dominique Drillot
Musik
: Marc Artières (Hommage à Forsythe),
Modest Mussorgsky (Duo),
Igor Strawinski (Le Sacre)
Tanz mit Le Groupe Grenade
:
Barnabé Faliu, Chloé Duvivier, Clémence Touret,
Fanny Micallef, Kim Evin, Lola Cougard, Lola Moro,
Pierre Boileau, Raphaël Sauzet, Sofiane Merabet,
Thomas Birzan-Prevost
Österreich Premiere

Dass es Arbeit mit Jugendlichen jenseits von Anpassung und Entsprechen gibt, beweist die Choreografin Josette Baїz mit ihrer fantastischen Tanz-Compagnie. Nach Tanz-, Gesangs-, und Theater-Projekten in Marseille und Aix-en-Provence gründete sie 1992 Le Groupe Grenade, eine Tanztruppe mit bis zu 50 Kindern und Jugendlichen, mit welchen sie gemeinsam die Themen und Choreografien für die Aufführungen entwickelt.

Zu Gast in St.Pölten war sie mit 11 TänzerInnen von 13 bis 17 Jahren und mit einem dreiteiligen Programm, welches perfekt auf die intime (Hinter-)Bühne des Großen Saales passte.

Hommage à (William) Forsythe, dem großen Choreografen, bildete mit vier Ensemblemitgliedern den ersten Teil. Getanzt wurde zur Musik von Mark Artières, welcher mit trockenen Beats und elektronischen Streicherklänge kalkulierte Spannungsbögen baute. Dieser kurze Einstieg in den Abend gab klar die Richtung vor: absolute Konzentration auf Bewegung und Musik bei leidenschaftlicher Interaktion der TänzerInnen nach dem Vorbild von Forsythe.

Die stark an klassischen Ballett orientierte Choreografie biederte sich keinen Moment an die gängige Jugendkultur an, sondern kontrastierte die Konvention thematisch und emotional. Das Bühnebild bestand aus Licht, welches ohne jegliche spektakuläre Effekte auskam, und einem weißen Tanzboden. Die Kostüme in ihrer Schlichtheit lenkten keinen Moment von den existentiellen Kämpfen der Protagonisten ab, sondern unterstützten diese. Die Qualität der tänzerischen Darbietung war absolut überzeugend, und was an Bühnenpräsenz naturgemäß noch nicht voll ausgereift war, glich die Lebendigkeit und Natürlichkeit der TänzerInnen völlig aus.

Der Duo betitelte zweite Teil wurde von einer Tänzerin und einem Tänzer gestaltet, welche zu Mussorgskys Bilder Solo und im Duett sich selber und einander näher kamen. Auch hier wieder viele klassische Elemente (Spitzentanz) kontrastierend mit ungezügelter Jugendlichkeit (Boxhandschuhe). Die Inhalte (um nicht direkt von Handlung zu sprechen) waren wiederum dem Alter der Beiden auf den Leib geschrieben.

Keineswegs eine Steigerung, welche schwer möglich gewesen wäre, aber die nach wie vor radikalste Ballettmusik (von Blüten wie I. Xenakis´ Kraanerg abgesehen), Strawinskis Le Sacre du Printemps aus dem Jahre 1913, stellte der dritte Teil des Abends dar. Das Frühlingsopfer Strawinskis wird thematisch mit F. Wedekinds Frühlings Erwachen (1891) durchmischt und heraus kommt das ewige und in jeder Generation wiederkehrende Drama der Pubertät. Hier die wunderbare Gelegenheit zu nutzen, um mit der brachialen, archaischen Musik und der verletzlichen Jugend der TänzerInnen spielend, eben dieses Drama mit Leidenschaft (von spastischer Körperfindung, Schreien und aggressiven Gruppenbildern) umzusetzen, ist so schlüssig und natürlich, dass es schlichtweg nicht erfrischender hätte sein können.

Le Sacre: Le Groupe Grenade. Rez.: Peter Kaiser