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Sadler's Wells presents - Die lange Nacht des Tanzes. Rez.: Eva Riebler

Eva Riebler
A WELL PRESENT

 
SADLER'S WELLS PRESENTS
Die lange Nacht des Tanzes
Österreich Premiere
Festspielhaus St. Pölten, großer Saal, Box
20.11.2010, 19.30 Uhr

Sadler’s Wells Theater aus London ist eines der führenden Tanzhäuser Europas und bringt seine besten Künstler – Tänzer und Choreografen - nach St. Pölten. Heute waren es in:
After Light Part One:
Daniel Proietto Tanz, Russell Maliphant, Choreografie und Michael Hulls Licht.
Faun:
James O`Hara, Daisy Phillips Tanz und Sidi Larbi Cherkaoui Choreografie
Uprising:
Hofesh Shechter Company Tanz und Choreografie
Im ersten Tanzstück „After Light Part One“ war die Inspirierung durch Zeichnungen, durch Kreise, Ellipsen in dynamischer Konzeption, von Vaslav Nijinski erkennbar. Der weiche Bewegungsfluss und die kreisenden Spiralen ließen Schlüsse auf Wachsen und Gedeihen zu.
Im zweiten Stück „Faun“ bezieht sich der Choreograf wiederum auf Arbeiten Vaslav Nijinskis, basierend auf dem symbolischen Gedicht von Stéphane Mallarmé mit der Musik von Claude Debussy. Die beiden Faune beschnupperten, kontrastierten und ergänzten einander und umschlangen sich in ineinander kreisenden, harmonischen Bewegungen. Das märchenhaft Unschuldige anstatt des Triebhaften kam in den Bewegungen sehr wohl zur Geltung, unterstützt wurde das stimmungsvolle Stück durch den in diversen Beleuchtungsfarben und –winkeln gegossenen Hintergrundswald des gelungenen Bühnenbildes.

Im dritten Stück nach der Pause „Uprising“ war Dynamik pur angesagt. Die sieben Tänzer brachten geballte Kraft, Testosteron in Tanzbewegung gegossen, unterstützt von der Choreografie und aggressiven Musik Hofesh Shechters, der 2008 u.a. den Critics Circle Award for Best Choreografie bekam. Ein hervorragend, explosiv getanztes und choreographiertes Stück, das einzelne Handlungselemente durch Spannung zu einer kraftvollen Aktionskette verknüpft. Themen wie Kampf, Brutalität, Vereinzelung, Kasernenhof, Furcht, Angst, Kameradschaft, Bruderschaft, Klammern um Hilfe und Todesstoß brachten konzentrierte Aufmerksamkeit und Uprising, im Sinne von Aufstehen und als Zuseher ganz dicht dabei sein wollen. Eine hervorragende Leistung unter hämmernden Rhythmen und gekonnten Beleuchtungsvarationen.

Anschließend in der Box:
Southern Comfort
und Bound, zwei Stücke mit Shanell Winlock und Gregory Maqoma als Tänzerpaar.
Konzept, Choreografie/Bound: Sidi Larbi Cherkaoui; Lichtdesign/ Southern Comfort: Fabiana Piccolo; Lichtdesign/ Bound: Willy Cessa
Musik: Stefan Knapik (Violincello), Soumik Datta (Sarod), Manjunath B. Chandramouli (Perkussion), die asiatische, vor allem indische Klänge mit europäischen mischten.
Das erste Stück brachte die eher ungemütliche Emanzipation der tanzenden Frau auf die Bühne. Jedoch kam die männliche Vergeltung in Form von gefährlicher Kraftanwendung = Würgen, mangels Worten als Ausdrucksmittel, wie im Leben eben.
Das zweite Werk thematisierte die Komplexität der menschlichen Zweierbeziehung, das liebende oder hassende, kämpfende Paar, das in seinen Mustern und Sehnsüchten jeweils gefangen ist. Die Charaktere können aufbauend oder zerstörend wirken. Als Requisiten dienten starke Seile, von der Decke gelassen, mit denen sowohl eine Behausung wie ein Baum oder eine betretbare Insel auf dem Wasser gebildet werden konnten. Auch ein Kleinkind kann aus Stricken geformt sein und mitspielen. Die Symbolik von Stricken als Fesseln oder Kronen, als Hemmnis oder verbindendes, rettendes Seil wurden ideenreich ausgeschöpft und als Bilder, als Metaphern oder in Bewegung umgesetzt.
Eine hervorragende Inszenierung. Ein qualitätsreicher, diffiziler, äußerst interessanter Abend!
Gratulation!

Sadler's Wells presents - Die lange Nacht des Tanzes. Rez.: Eva Riebler

Views in Process: Doris Stelzer. Rez.: E. Riebler

Eva Riebler
EXTREMPOSITIONEN

 

 
VIEWS IN PROCESS
Doris Stelzer
Festspielhaus St. Pölten, Bühne
26.05.10, 19.30 Uhr
Choreografie/Konzept: Doris Stelzer
Performance/Choreografie: Josep Caballero Garcia, Ondřej Vidlář
Künstlerische Mitarbeit: Lieve De Pourcq
Sound: Mariella Greil, Werner Möbius
Licht: Tom Barcal, Henning Eggers
Fotografie: Bettina Frenzel
Produktionsassistenz: Lisa Böttcher, Stefanie Fischer.

 

IN – OUT
Elio Gervasi
Uraufführung

Zwei einsame Männer (Ondrej Vidlar aus der Tschechischen Republik und Josep Caballero Garcia aus Barcelona) auf der leeren Bühne, teils freundlich starrend, den Oberkörper entblößend, den Bauch einziehend, anspannend oder vor wölbend, ruhig stehend oder sich auf und ab bewegend. Spätestens nach 10 Minuten fühlt sich der Zuseher als Beobachter und wird seinen eigenen Einstellungen und Gedankenmustern gegenüber sensibilisiert und misstrauisch. „Was nehme ich wahr und wie nehme ich es auf? Welche Körperausschnitte gefallen mir und welche kommen meiner Erwartungshaltung nicht entgegen? Zeugt diese Position von einem typischen Poussieren als Model oder ist sie noch natürlich?“

Die Sinne werden geschärft und soziale Konstruktionen hinterfragt.

Somit ist das heurige Tanz-Festival-Motto „Extrempositionen“, Tanz als Spiegel unserer pluralistischen und heterogenen Gesellschaft bestens erfüllt.

 

Der zweite Teil wurde von Elio Gervasi choreographiert und mit IN – OUT betitelt und brachte drei Tänzer auf die Bühne: Kenia Bernal Gonzalez, Salvatore La Ferla und Leonie Wahl.

In und OUT zeigt die Möglichkeiten der Durchdringung und Berührung der Körper, die menschliche Fähigkeit des aufeinander Eingehens und gemeinsamen Bewegens. Das höchste Ziel ist die kontinuierliche gemeinsame Bewegung, die keinen Stilbruch kennt und Vertrauen sowie innere und äußere Harmonie entstehen lässt. Die ständige Wiederholung der Bewegungsabläufe zeugt von der Wiederkehr des alltäglich Gleichen. Die stete körperliche Berührung von der Notwendigkeit der sozialen Kontaktaufnahme und steht somit im Gegensatz zu den zwei Männern der ersten Performance, die sich nie berührten und zu seelenlosen, klischeehaften Stereotypen mutierten.

Der Gegensatz beider Vorstellungen könnte nicht größer sein. Der Beweis für die „Extrempositionen“, für künstlerische Diversität und polyästhetische Verwirklichung ist wiederum bestens erfüllt.

Views in Process: Doris Stelzer. Rez.: E. Riebler

Mais le diable marche à nos côtés. Rez.: E. Riebler

 

 

 

 

 

 

Eva Riebler
NICHT SEHR TEUFLISCH, ABER PERFEKT IN BEWEGUNG UND KÖRPERBEHERRSCHUNG

 

 

 

MAIS LE DIABLE MARCHE À NOS CÔTÉS
Compagnie Heddy Maalem
Festspielhaus St. Pölten, Großer Saal
17.04.10, 19.30 Uhr
Dauer 50 Minuten
Tanz:
Kehindé Awaiye, Iffra Dia, Dramane Diarra, Yu Erge,
Milla Koistinen, Keong Swee Lee, Qudus Onikeku, Soile Voima

Choreografie: Heddy Maalem
Musik: Fritz Hauser
Bühne: Boa Baumann
Kostüme: Rachel Garcia
Licht: Brigitte Dubach

 

 

Heddy Maalem dachte bei diesem Stück ans Reisen und Durchqueren sowie durchquert zu werden. Ein schwieriges Thema für eine tänzerische Umsetzung, vor allem wenn man wie er die stehenden statt der rasch bewegten Szenen liebt. Wie Bilder einer Ausstellung knüpfte eine Szene an die andere. Der thematische Inhalt hielt zahlreiche Rätsel bereit: Man dachte bei Szene eins an die Trockenheit der Wüste, das sinnlose Warten, dass alleine durch das ständig zunehmende Geräusch der Zikaden aggressiv werden lässt. Und so kommt der Teufel ins Spiel, der einen reitet oder begleitet. Der Irrsinn wird in der Mimik und den zuckenden Bewegungen der Tänzer sichtbar. In der zweiten Szene spürt man das Rauschen des tropischen Regens, die Mühen des Lebens und den unabwendbaren Tod. Weiters wurden die Boshaftigkeit, die Parteilichkeit, die Rolle von Politik und Herrschaft sowie das stumme Reden und Schauen thematisiert.

 

Offensichtlich ist keine konkret deutbare Bewegungssprache für den Zuseher ein Muss gewesen. Das Publikum kann Einzelheiten des Muskelspiels oder den Blick in die Totale als Gesamtbild bevorzugen. Es kann interpretieren auf Teufel komm raus. Und dessen Existenz ist ja in der Betitelung des Gesamtkonzeptes ersichtlich.

Ein stiller Abend mit dichten, bewegenden Choreografien!

 

Der Ausklang des Abends mit der Orientalischen Nacht im Café Publik war dann der zweite, rhythmisch rasantere Teil und der Versuchung die eigenen Hüften oder bloß Handgelenke kreisen zu lassen keine Grenzen gesetzt. Genauso war es möglich, still träumend den orientalisch pulsierenden Klängen zu lauschen, im Türkensitz auf dem Teppich zu hocken und an der nicht vorhandenen Wasserpfeife zu ziehen. Eine gelungene Veranstaltung mit DJ Ahmet Dr. Mad und DJ Yusuf aus Istanbul vernetzt mit Visuals von Ceen und den Lifeklängen des türkischen Percussionisten Metin Meto auf der Bühne.

Mais le diable marche à nos côtés. Rez.: E. Riebler

Still Lifes: Fritz Hauser. Rez.: E. Riebler

Eva Riebler
VORGESCHMACK

 

 
STILL LIFES
Fritz Hauser
Festspielhaus St. Pölten, Box
16.4.10, 19.30 Uhr
Dauer 60 Min.
Konzept Komposition, Schlagzeug und Perkussion: Fritz Hauser
Konzept und Projektionen: Boa Baumann
Licht: Brigitte Dubach

 

Der Schweizer Perkussionist Fritz Hauser gab einen Vorgeschmack für das morgige „Mais le diable marche à nos côtés“, wo er mit dem nordafrikanischen Choreografen Heddy Maalem und dessen TänzerInnen eine Performance zeigen wird.

In der Box erklang an sechs Instrumental-Plätzen in sechs Sätzen Perkussionssoli zu ausgewählten Aquarellen von Peter Mieg. Um den 1990 verstorbenen Schweizer Komponisten und Maler Peter Mieg zu ehren und sein Werk nicht der Vergessenheit anheim fallen zu lassen, wurde die Session inszeniert. Seine Bilder haben die Blütenpracht vor allem in Vasen und Krügen sowie Früchte-Stillleben zum Thema.

Die zahlreichen Becken (z.T. mit Tüchern abgedeckt), das Hiat (Jazzinstrument mit Holzblock) die große Trommel und diverse Klangkörper aus dem Alltag (Ketten, Rosenkranz, Blech- und Eisenbüchsen etc.) waren in Klang und Rhythmus auf die Aquarellausschnitte abgestimmt und belebten oder untermalten diese, bzw. traten in Wechselwirkung zu Form und Farbe.

Morgen werden die Körper der Tanzenden der Heddy Maalem Compagnie bewegte Bilder ergeben sowie anschließend die Visuals von Ahmed Bayazit in der Orientalischen Nacht im Café Public.

Ein großes Event erwartet uns!

Still Lifes: Fritz Hauser. Rez.: E. Riebler

Lovers and other Strangers: Cocoondance. Rez.: E. Riebler

Eva Riebler
VOM FREMDSEIN VON MANN UND FRAU

 

 
LOVERS AND OTHER STRANGERS
Cocoondance
Festspielhaus St.
Pölten, Box
05.03.10, 19.30 Uhr

Koproduktion mit Forum Freies Theater Düsseldorf,
in Kooperation mit dem Theater im Ballsaal, Bonn
Stück und Performance: Viviana Escale, Volkhard Samuel Guist
Choreografie und Regie: Rafaële Giovanola
Regie und Konzept: Rainald Endraß
Ausstattung: Rafaële Giovanola, Rainald Endraß
Lichtgestaltung: Marc Brodeur
Auftragskomposition: Jörg Ritzenhoff
Fotografie: Klaus Fröhlich

 

Die Beziehungskrise zwischen Mann und Frau wurde ausgeweitet auf den Unterschied zwischen und den Kampf der Kulturen. Nicht nur Fremdsein und Unverständnis sind Auslöser von Krisen und erschweren das Zusammenleben, auch ein Zuviel an Ehrgeiz, Zärtlichkeit, Einschmeicheln oder Bedürftigkeit kann auslösendes Moment sein. Liebe bringt um. Keine Widerrede!

Die Tänzer zeigten die Anziehung und Abstoßung und hielten sich auch nicht zurück, wenn das gegenseitige Abschlecken der Haare als Zeichen der Bemutterung und Bevormundung anstand. Sie agierten perfekt in Timing und Symbolik sowie in Harmonie oder betonter Disharmonie. Sie stellten überzeugend das Zwanghafte, Eigensinnige oder bei Bedarf das Leblose, Puppenhafte dar.

Über dieses Thema eine Tanzperformance zu gestalten bedeutet eine Umsetzung des Essentiellen unseres Zusammenlebens.

Und ist es noch dazu so vielgestaltig und emotional aufbereitet und in Bewegung umgesetzt, ist es schlichtweg ein Erlebnis!

Die Auftragskomposition von Jörg Ritzenhof untermalte und wirkte handlungsorientiert beschleunigend oder metaphorisch.

Das riesige Packpapier als wichtiges Requisite eignete sich vorzüglich für sämtliche Szenen: als Spielwiese, als Möglichkeit ungesehen zu verharren, unterzutauchen oder den anderen einzuhüllen, einzurollen und abzutransportieren. Als Hülle reichte die Verwendung vom Hochzeitskleid mit Brautschleier bis zum Zepter oder aus diesem anschließend die Blume oder der Rohrstab geformt.

Außerdem war das Rascheln des Packpapiers passender akustischer Begleiter.

Ein interessantes, zeitgemäßes Stück, eine gute moderne, sparsame Inszenierung mit zwei hervorragenden Tänzern!

Die Menschen sind nicht so, wie wir sie haben wollen; die Performance jedoch war es!

Lovers and other Strangers: Cocoondance. Rez.: E. Riebler