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Festival: Österreich tanzt. Rez.: Eva Riebler

Eva Riebler
Verzweifelte Ansage – Clownerie

 

Festival: Österreich TANZT 2011 - Abend 4
Stefanie Wieser: SPECK
Simon Mayer, Pieter Ampe: O feather of lead
Festspielhaus St. Pölten, Bühne
21.05.11, 19.30 Uhr
Choreografie und Performance: Simon Mayer, Pieter Ampe
Mentor: Benjamin Verdonck
Simon Mayer, Pieter Ampe: O feather of lead

Stefanie Wiesers choreographiertes und konzipiertes Solo-Stück SPECK wurde in der Erstfassung 2010 von Bert Gstettner realisiert und nach einer weiteren Version kam es nun zum dritten Mal auf die Bühne. Sie wurde 1982 in Wien geboren und wurde in Wien, Lyon und Lissabon ausgebildet.Sich ein Stück auszusuchen, dass den weiblichen SPECK als Lust- und Gramelement zu versinnbildlichen hat, dazu gehört Mut. Leider wurde nur ein Visual eingefügt und die Facetten der Intimität, des Ekels und vor allem des gesellschafts-politischen Missbrauchs in Form von Rache am Fleisch des Gegners kamen zu kurz. Die Zeit wurde einem als Zuschauer jedoch zu lang, ständig patscherten, X-beinigen hinfallenden Gesten zusehen zu müssen, machte Lust auf die fehlenden tänzerischen Highlights, die vielleicht Sehnen, Verliebtheit oder erfüllte Liebe transportiert hätten. Auch Herz – Schmerz kann tänzerisch unprätentiös umgesetzt werden, jedenfalls wäre der Obertitel „Österreich tanzt“ gerechtfertigt gewesen.

Simon Mayer, geb. 1984 in Österreich, studierte an der Wiener Staatsopernballettschule und in Brüssel und Pieter Ampe, geb. 1982 in Burundi, derzeit Artist in Gent, setzten auch nicht auf Tanz, sondern auf die Lacher des Publikums. Zwei clowneske Nummern mit Stelzen, die zu hoch für das Eintrittstor sind, zwei erbärmliche Figuren, denen der Lichtkegel davon gleitet oder die sich Gegenstände nachwerfen und im Kreise jagen und zu Boden ringen – erinnern an Einlagen in der Manege des Zirkusses. Ebenfalls hat das zwar gelungene Stück unter körperlichen Verrenkungen in zwei von der Decke hängende Mikrofone zu tonieren eher den Charakter einer Clownnummer. Getanzt haben beim nächsten Stück die beiden Mikrofone. Sie wurden mit ihren langen Leinen ineinander gewirbelt und mit großem Schwung minutenlang ausgedreht, während die Tänzer Wäsche an ein drittes Mikrofon knüpften oder in Stehposition zwischen den gefährlich pendelnden Mikros, Bücher vorzulesen versuchten.

Auch hier gilt: Der Inhalt kam vor dem Tanz, in diesem Fall die Komik.

Festival: Österreich tanzt. Rez.: Eva Riebler

Ekman's Triptych: Cullberg Ballet. Rez.: Peter Kaiser

Peter Kaiser
DIE NACKTE WAHRHEIT

 
EKMAN’S TRIPTYCH
A study of entertainment
Cullberg Ballet
Festspielhaus St. Pölten, Großer Saal
14.05.2011, 19.30 Uhr
Österreich-Premiere
Choreographie, Bühne und Text: Alexander Ekman
Kostüme: Bregje van Balen
Lichtdesign: Michael Sylvest
Video: Elias Bengtsson
Einführungsgespräch mit Andrea Amort

Ekmans dreiteilige Studie der Unterhaltungsindustrie bringt die Sache auf den Punkt. Was hinter einem inzwischen unüberschaubaren Wirtschaftsfaktor mit Verzweigungen in alle Winkel und Abwasserkanäle des sogenannten postmodernen Lebens steckt, ist vor allem Geld, die verzweifelte Suche nach innovativen Ideen und dem richtigen Plot, harte Arbeit und eine Mischung aus Fadesse und Erschöpfung.
Seit der zwingenden Analyse durch die Dialektik der Aufklärung von Horkheimer und Adorno, ist die Branche in der Rollenverteilung unverändert: Der Konsument als Zuseher delegiert seine Fantasien und Gelüste (sein Leben!) an die bezahlten Profis auf der Bühne oder Leinwand.

Alexander Ekman, der bei Triptych für Choreografie, Bühnenbild und Text verantwortlich ist, wurde 1984 in Stockholm geboren. Er tanzte unter anderem bei Nacho Duato und Mats Ek. Seit 2005 ist er Mitglied des 1967 von Birgit Cullberg als Teil des schwedischen Riksteatern gegründeten Cullberg Ballet. Ekman arbeitet mit internationalen Ensembles wie dem Bern:Ballett, dem Nederlands Dans Theater I oder der Iceland Dance Company Reykjavík.

Des Triptychons erster Teil ist der Suche nach der zündenden Idee für die nächste Produktion gewidmet und der Umsetzung dieser. Die immerwährende Formel lautet: Synchronized movement works!
Die fantastische Darstellerin der Produzentin, welche in verblüffender Weise Schauspiel- Tanz- und Redekunst in sich vereint, kommt wenig überraschend auf die Eckpfeiler des Entertainments zurück: Massenszenen (William Forsythe lässt grüßen), Slapstick, Rhythmus und viel Trallala.
Von Verklärung des Showbiz also keine Spur; dafür umso mehr lustvolle, quietschvergnügte Umsetzung ohne Angst vor Niveauverlust.
Einen Bruch in dieser sehr intelligent und unterhaltsam gemachten Analyse stellt sich ein, wenn Darsteller und Darstellerinnen sich ins Publikum mischen und zu starren beginnen, als würden die Rollen plötzlich umgedreht: die Zuseherin als Voyeurin findet sich ertappt und peinlich berührt.


Der zweite, im Pausenfoyer stattfindende Teil, bannt die Tänzer in Glasvitrinen und macht sie bei den wunderschönen Klängen von Corellis La Folia zu musealen Objekten. Die Assoziation mit einer Konservierung in Spiritus kommt wie bei allem ehrfürchtig Verwahrten nicht von ungefähr.

Das letzte Bild rückt den Schausteller als Menschen sowie die Theatermaschinerie und damit wiederum den Menschen als unverzichtbaren Teil ebendieser Maschine in den Mittelpunkt.
Erschöpfung, abgewechselt mit Konvulsion, sich immer wiederholende Anweisungen der Produzentin, alles einmal in Zeitlupe und einmal hektisch, letztlich eine ewige Wiederholung.
Der Darsteller als Projektionsfläche des, sich im sicheren Exil des Zuschauerraums befindlichen Konsumenten, entpuppt sich als ferngesteuerte kybernetische Marionette, die seelenlos der Produzentin bis zur letzten Konsequenz zu Willen ist.
In einer sehr beeindruckenden und berührenden Schwimmbewegung auf dem Bühnenboden umschmeichelt ein nackter Mann mit Grinsemaske die völlig ausgebrannte Produzentin: Der vergessene Lemur einer erstarrten Demiurgin.
Das Spiel ist aus. Wer trägt den Müll hinunter?

Ekman's Triptych: Cullberg Ballet. Rez.: Peter Kaiser

Wellenklänge: Tonkünstler-Orchester NÖ. Rez.: Eva Riebler

Eva Riebler
Wassermusik ohne Friedrich Händel

 

 

WELLENKLÄNGE
Tonkünstler-Orchester Niederösterreich

Festspielhaus St. Pölten, Großer Saal
09.05.11, 19.30 Uhr
Dirigent: Hugh Wolff
Solistin: Isabelle van Keulen, Violine

 

Bedřich Smetana: Die Moldau, ein eingängiges Stück, das ohne jegliches Pathos und trotzdem in erhabener, getragener Atmosphäre erstrahlte. Die Popularität des Stückes wurde nicht missbraucht, kein Ohrwurm daraus gemacht.

Erich Wolfgang Korngold: Konzert für Violine und Orchester D-Dur op. 35. Ein Werk, das der 50-Jahre alte Komponist, Sohn des berühmten Musikkritikers Julius Korngold, schuf und das mit der klassischen Tradition insofern brach, als dass es doch vom Einfluss der Atonalität Schönbergs einen Hauch abbekommen hatte, obwohl der Komponist dem Stil des Fin-de-siècle treu bleiben wollte. Das 1945 komponierte Violinkonzert zeigt die Sehnsucht des in Amerika Weilenden nach der Alten Welt und nach der Welt von gestern. In ihm sind Musikversatzstücke seiner Hollywood-Produktionen verewigt, die vor allem im zweiten Satz, im Romance, Andante, besonders herzwärmend und innig, fast bittend von der namhaften Solistin Isabelle van Keulen vorgetragen wurden.

Claude Debussy: Cinq Études, Orchesterfassung v. Aaron Jay Kernis erklang getragen, witzig und sonor oder mürrisch und widerspenstig, je nach dem, wie es das Thema forderte. Es sind fünf Stücke, die das Schaffen des kranken Claude Debussys beenden und sehr hohe Anforderungen an das Orchester stellen, das unter der Leitung Hugo Wolffs virtuos und extrem facettenreich brillierte. Das lebhafte Finale passte zum Rauschen des Wassers im letzten Stück: dem La mer, einer dreiteiligen Skizze für Orchester, das Claude Debussy 1903-05, also 10 Jahre vor den Cinq études geschrieben hatte. Das Orchester ließ das Wasser als Spiel mit den Wellen, als Zwiegespräch zwischen Wind und Meer erklingen. Weder die Bedrohung des Menschen durch das Wasser noch die einfache Sturmmusik war Thema, sondern vielmehr die Entwicklung und Umsetzung des Motivs Wasser in all seinen Formen und berauschenden Klängen.

Ein wunderbares Konzert, das durch die hohe Qualität von Orchester, Violinistin und Dirigent uneingeschränkt genossen werden konnte.
Im Anschluss lauschten an die 40 Gäste dem Tonkünstler Jazz-Quartett mit Susanne Stockhammer, Albert Reifert, Franz Schaden und Thiemo Kirberg im Café Publik. Dargeboten wurde guter gängiger Jazz, der den Abend angenehm ausklingen ließ.

Wellenklänge: Tonkünstler-Orchester NÖ. Rez.: Eva Riebler

Edgar. Rez.: Peter Kaiser

Peter Kaiser
MAGIC AND LOSS

 

© Ernst Hesse

 
EDGAR
Festspielhaus St. Pölten, Box
15.04.2011, 19.30 Uhr
Regie und Performance: Claudia de Serpa Soares, Grayson Millwood
Publikumsgespräch im Anschluss

Edgar ist ein wunderbares Stück Tanz- und Bewegungstheater im Wortsinn und ein Stück für Kinder und Erwachsene gleichermaßen. Als Kinderstück zeigt es vor allem, was man Kindern gegenüber nicht darf: sie unterfordern. Deren Fantasie anzuregen und ihre Aufmerksamkeit zu fesseln, schaffen die beiden Regisseure und Darsteller in Personalunion mit Leichtigkeit. Der Beweis: trotz der Hälfte Kinder unter zehn Jahren im Publikum, ist es während der Aufführung mucksmäuschenstill - von gelegentlichen Ausrufen des Erstaunens abgesehen; aber diese können auch von Erwachsenen stammen.

Erwachsene ihrerseits können die teilweise atemberaubende Performance genießen oder sich von der absurden Komik zum Reflektieren anregen lassen. Claudia de Serpa Soares und Grayson Millwood scheinen sich vielleicht nicht ganz unbewusst zum Beispiel von Samuel Becketts Endspiel Inspirationen geholt zu haben.

Am Anfang war die Essiggurke. Ein unförmiger Mann, welcher augenscheinlich eine Vorliebe für dieses Essiggemüse besitzt, bekommt vier Hände um Origami zu betreiben und gebiert schließlich nicht ohne Geburtswehen ein zweites Ich aus sich heraus: einen hassgeliebten Zwilling. Mit diesem nun werden Kämpfe um Trennung und (Wieder-) Verschmelzung ausgefochten. Man verbirgt sich zwischen Kartonhäusern, sperrt sich ein, aber entkommt dem eigenen ICH nicht.

Die Essiggurke, welche als absurder roter Faden durch das Stück führt (und welche ab sofort zur Lieblingsspeise der zusehenden Kinder mutiert), wird schließlich auch namensgebend für eine Jahrmarkt-Show, wie sie nur in der Zeit vor dem fantasieverschlingenden Kino möglich war: The Amazing Pickle Show – Magic And Miracles. In ihr kommt die beinahe somnambule Bewegungskunst und Akrobatik der Darsteller erneut atemberaubend zum Ausdruck.

Im anschließenden Publikumsgespräch erklärt Millwood, welcher dem FSH-Publikum noch von der außergewöhnlichen Produktion Lawn der Splintergroup in Erinnerung ist, dass es zwei Dinge gewesen seien, welche sie beide zur Umsetzung gereizt hätten. Zum einen ein Faible für Magie, zum zweiten der exorbitante Größenunterschied der beiden. Vor allem im zweiten Fall scheinen sie auch tatsächlich an die Grenzen des Möglichen zu gehen.

Edgar zeigt in seiner Attraktivität für Kinder und Erwachsene, wie wir alle der Anregung unserer Fantasie bedürfen, um die in uns schlummernden und vor der Realität verschlossenen Reiche betreten zu können. Bei den Kinder lauern diese noch knapp unter der Alltagsallüre; bei uns Erwachsenen sei auf Lou Reeds Magic and Loss verwiesen.

Da bleibt nur zu rufen: Es lebe die Essiggurke!

Grayson Millwood wurde in Australien geboren und ist Mitbegründer der Splintergroup. Claudia de Serpa Soares wurde in Lissabon geboren. Beide sind Mitglieder des Ensembles von Sascha Waltz in Berlin. Edgar entstand 2007 in Freiburg und steht im FSH zum zweiten Mal auf dem Programm.

Edgar. Rez.: Peter Kaiser

After Light: Russell Maliphant. Rez.: Eva Riebler

Eva Riebler
Männlicher Schleiertanz

 
After Light
Russell Maliphant
Festspielhaus St. Pölten, Großer Saal, 60 Minuten, keine Pause
08.04.11, 19.30 Uhr
Tanz: Daniel Proietto, Silvina Cortés, Olga Cobos
Choreografie: Russell Maliphant
Lichtdesign: Michael Hulls
Kostüme: Stevie Stewart
Animation: Jan Urbanowski, James Chorley

 

Durch die geringe Beleuchtung der Körper ergibt sich die Bedeutungsüberhöhung. Wie in einem Gitterkäfig wird in der ersten Choreografie der kleine, allzu kleine Kreis ausgeschritten/ ausgetanzt. Das Werden und Sterben ist Thema.

Das Ballets Russes, gegründet vor über 100 Jahren in Paris, eines der revolutionärsten Ballettensembles des 20. Jahrhunderts, stand Pate bei der Entwicklung dieses modernen Tanzes. Sparsam und bedeutungsvoll sind die ruhigen Bewegungen. Der Tänzer ist stets er selber und gibt nicht vor eine Rolle zu spielen oder politische Inhalte zu transportieren. Er und sein Körper stehen im Lichtkreis und bewegen sich natürlich und rund.

Im zweiten und in den weiteren Stücken war das Lichtdesign des Bühnenbildes bahn brechend und vermittelte zuerst die Stimmung des Morgen- oder Abendrots weiters das Wolkenziehen, das Vergehen oder sich Zusammenballens zu weißen Wattebäuschen. Die Tanzsprache vermittelte stets Ruhe und Kontemplation. Gelassenheit und ein behutsames Aufeinander-Zugehen der drei TänzerInnen, die wiederum den Kreis voll ausschritten und als Zeichen der Zuneigung Rot als Jackett oder als langen Schal trugen. Der Mann zwischen zwei Frauen brachte Spannung, vor allem da er es war, der die Aufgabe des Schleiertanzes meisterte.
Zartheit und friedliches Miteinander dominierten die Choreografie, die Mythisches und die Betonung des dynamischen Kreises übermittelte.

After Light: Russell Maliphant. Rez.: Eva Riebler