Alois Eder
STEIGERUNGEN?
PROTECTION
Anja Hiling
Landestheater Niederösterreich, Theaterwerkstatt
Österreichische Erstaufführung: 25.01.08, 19.30 Uhr
Regie: Johannes Maile
Mit: Charlott von Blumencron / Klaus Haberl, Oliver Rosskopf
Am Do 14.2. und Fr. 15.2.08 wird beim Koproduktionspartner, dem Centre des Arts Pluriels in Luxemburg die luxemburgische Erstaufführung absolviert.
Die 30jährige deutsche Autorin, eine Entdeckung vom Beginn dieses Jahrtausends, hat das Stück 2005 in Hamburg vorgestellt, inzwischen aber bereits mit weiteren Theatertexten reüssiert. Dabei kommt sicher auch ihr sparsamer Schauspieler-Verbrauch dem Trend der Zeit entgegen. Im konkreten Fall sind es Charlott von Blumencron, Klaus Haberl und Oliver Rosskopf, die sich unter der Regie von Johannes Maile 6 Rollen teilen müssen. Es gibt keine durchgehende Handlung, eher drei Genrebilder zum Vergleich durch ein damit sehr zur teilnehmenden und vergleichenden Beobachtung der drei Paare aufgefordertes Publikum.
Zum mindesten anfangs entschlägt sich Anja Hilling auch der Pflicht zum Dialog: es handelt sich zunächst in Teil eins eher um ein paralleles Abspulen von Erinnerung später auch des Bewusstseinsstroms der zwei Protagonisten auf der Bühne. Hier ist auch der Titel des gesamten Stückes Protection angebracht, denn es geht um zwei Obdachlose, deren Darstellern nicht die naturalistische Übernachtung im Freien und auch nicht der Konsum von Wodka und Williamsbirne in den geschilderten Mengen zugemutet wird. Immerhin lässt sie die Jury eine Art langsamen Striptease vollziehen, der vor allem dem weiblichen Part der Lucy mit ihren Lumpen volle Konzentration abverlangt, während sich ihr Partner Ross langsam immer intensiver um ihr Wohlbefinden annimmt ...
Offenbar bezweckt die Abfolge der drei Szenen eine Fortsetzung dieser zwischenmenschlichen Kontaktsuche: in der zweiten, Phantome betitelt, sprechen die beiden Homosexuellen auf der Bühne schon über weite Strecken miteinander und nicht in die leere Luft hinein, auch wenn die Begegnung am Eingang eines Szenelokals schließlich scheitert.
Gut, dass das Programmheft den Zuseher mit dem ganzen Text des Stücks versieht, um dann allenfalls erst beim Nachlesen der untergründigen Logik der Abfolge und Steigerung nachzuspüren. Das erste Motto I can't change the way you feel/ but I could put my arms around you lässt ahnen, dass es sozusagen um eine Mehrgang-Schaltung der zwischenmenschlichen Kontakte geht, wobei es dann klarerweise im dritten Teil Nazifes Augen, mit dem Vermerk Ort der Handlung: ein Altbau in Berlin zu klappen beginnt, Smashing-Pumkins-Motto: The Killer in me is the killer in you/ My Love/ I send this smile over to you.
Bei einem Smile bleibt es freilich nicht, obwohl die statische Regie die erotische Begegnung zwischen Leon und Nazife auf Distanz hält und nur in ekstatischen Wortkaskaden ausbrechen lässt, wenn auch der nun recht zielführende Dialog die sprichwörtlichen Schindeln am Dach zum Glühen bringt und im Postkolloquium die Frage gestellt wird, inwiefern sich das Stück für Schulaufführungen eignet. Gelegentlich macht der Dialog dann wieder einen Rückzieher in den Bewusstseinstrom: Sie öffnet die Beine / Ich bin dazwischen./ Ich weiß nicht. Nichts. Ich steh vorm Bett vor ihr vor ihrem Arsch. Vom optischen ungeklärt bleibt allerdings, ob beim endlich zustande gekommenen Infight auch Protection im Spiel ist ...
Das Bühnenbild – in Zusammenarbeit mit Studentinnen der Kunstuniversität Linz - suggeriert freilich keine Steigerung der Intensität, sondern das Gegenteil. Hängen schon im Teil zwei – Motto der Einstürzenden Neubauten: Was ist ist, was nicht ist, ist möglich/ nur was nicht ist, ist möglich – die Glitzerkugeln über dem Spielfeld aus Schaumgummimatten auf Halbmast, so senken sie sich für den dritten Teil bis zum Boden, was vielleicht den wahren Wert der jeweiligen Anteilnahme signalisieren soll. Und dann wären die Sandler des ersten Teils eigentlich fein heraus.
Alles in allem also ein Stück, in das überraschend viel Subtilität investiert worden ist und das vom Publikum genauso viel verlangt, um ihm gerecht zu werden ...