Philosophie

11. Philosophicum Lech: 2. Tag, Martin Seel - Part 7

2. Tag

 
Martin Seel

Martin Seel erläutert in seiner Rede „Ist eine säkulare Gesellschaft denkbar?“ zunächst die Säkularisierung. Seel unterscheidet die säkulare Gesellschaft vom säkularen Staat, der jede Religion bzw. jegliche Religiosität ausschließt. Die säkulare Gesellschaft wäre in diesem Sinne eine individuelle und kollektive Lebensführung, in der der Mensch das Maß aller Dinge sei.

Seel lässt sich auf ein Gedankenexperiment ein, ob eine Gesellschaft, in der religiöse Empfindungen, Überzeugungen, Riten und Organisationen keine Rolle mehr spielen, nicht nur bestehen, sondern vergleichsweise genauso gut und stabil wie unsere jetzige funktionieren könnte.

Nach reiflicher Analyse über die Konsequenzen eines Wegfalls von religiöser Praxis, den Seel als gravierenden Verlust geschichtlicher, kultureller, moralischer und politischer Aspekte, ja sogar als einzige Quelle des Weltvertrauens beschreibt, zieht er die Schlüsse und beantwortet seine Frage mit „Ja“.

Seels Bild einer säkularen Gesellschaft schließt Reemtsmas Frage nach einem gegenseitigen religiösen Respekt logischerweise aus. Auf die Podiumsfrage, ob Seel denke, dass die jetzige Gesellschaft sich auch zu dieser ihm beschriebenen säkularen Gesellschaft hin entwickeln könnte, antwortet er allerdings mit „Nein“.

 

11. Philosophicum Lech: 2. Tag, Martin Seel - Part 7

11. Philosophicum Lech: 2. Tag, Peter Strasser - Part 6

2. Tag

 
Peter Strasser

In seinem Vortrag „Eine Art religiöser Haltung“ fährt Peter Strasser mit Goethes Faust fort. Er spricht über Faust als keinen Ungläubigen. Zweifel leben in ihm, weil sie zu den Ursituationen des Menschen gehören. Fausts Haltung sei keine religiöse Haltung, aber eine Art religiöse Haltung. Gretchens Frage kommt einer Demaskierung gleich. Die guten Antworten, wie „ja“ und „nein“ sind jedoch philosophisch nicht möglich. Deshalb ist Fausts Antwort die Beste, so Strasser.

Strasser transponiert weiters diese Art Religiosität in die Welt der Philosophie und zitiert zunächst zwei überzeugte Atheisten – Richard Dawkins und Thomas Nagel - letzterem bereitet das Wissen um intelligente und gebildete Menschen, die gläubig sind, Unbehagen. In den weiteren Ausführungen über den Philosophen wie John Searle verdeutlicht Strasser in welcher Diskrepanz sich die Philosophie zur Biologie befindet. Die Frage, ob unser Bewusstsein nichts anderes ist als eine illusionäre Vorspiegelung unser selbst, bleibt offen. „Die Suche nach der objektiven Wahrheit steht in eigentümlicher Spannung zur Evolutionslehre […]“, so Strasser.

Zur Folge rät Strasser, dass die Philosophie sich nicht auf den biologischen Naturalismus fixieren lassen sollte, schließlich führe die Evolution des Geistes zu Konzepten, die trans-evolutinär sind. Dasselbe was für die Wahrheit gelte, gelte auch für die Moral. Strasser möchte eine Welt in der die Gene ausschließlich für unser soziales Verhalten verantwortlich wären, ausschließen - „Um zu einer annehmbaren menschlichen Ethik zu gelangen, müssen wir die evolutionäre Fixierung transzendieren.“, denn das Gleichheitsprinzip im Sozialstaat, inklusive der Menschenrechte, würden evolutionstheoretisch sonst keinen Sinn ergeben.

Strasser folgert die Religion an sich wäre ein nützliches Gehirnprogramm zur Erreichung der evolutionären Transzendenz. Für Strasser bedeutet das, dass das Philosophieren, eine Art religiöse Haltung ist.

11. Philosophicum Lech: 2. Tag, Peter Strasser - Part 6

11. Philosophicum Lech: 1. Tag Jan Philipp Reemtsma - Part 5

1. Tag
Jan Philipp Reemtsma

 
Mit dem Literaturwissenschafter Jan Philipp Reemtsma eröffnet schließlich das
11. Philosophicum sein Programm. „Muss man Religion respektieren? Über Glaubensfragen und den Stolz einer säkularen Gesellschaft“ lautet sein Vortrag.

Der in unseren Tagen in seinen Predigten viel zitierte Erzbischof von Köln Joachim Kardinal Meisner wurde zum Aufhängeschild für die Frage nach Respekt in der Religion. Zitat Meisner: „Wo der Mensch sich nicht relativieren oder eingrenzen lässt, dort verfehlt er sich am Leben: zuerst Herodes, […], dann u.a. Hitler und Stalin, […], und heute, in unserer Zeit, werden ungeborene Kinder millionenfach umgebracht.“ Der Satz erregte Aufsehen. Paul Spiegel, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland sprach von Beleidigung der Juden und der Frauen in Not. Der Vergleich von Abtreibung und Holocaust sei rein nach katholisch religiöser Überzeugung, so Reemtsma, nicht skandalös. Man könnte vielleicht seine religiöse Überzeugung skandalös finden, oder erfordere sie gar Respekt? Um dies zu klären, müsste jeder in der Lage sein den Standpunkt eines Bürgers einer säkularen Gesellschaft einzunehmen. Das hieße auch wo öffentlich Religion stattfinde, ist sie Privatsache.

Reemtsma benötigt einen weiteren Begriff um die Respektfrage zu klären – Religiosität. Die Religiosität führe in weiterer Folge zu einem Dilemma. In diesem Konflikt des gegenseitigen religiösen Respekts gelangt Reemtsma zur Frage ob Religion möglicherweise nichts anderes als ein zwangsneurotisches Verhalten wäre, denn in einer säkularen Gesellschaft gäbe es beispielsweise keine Diskussion um ein Kopftuch. Sie ließe sich ob ihrer Bekleidung nichts vorschreiben. Es fehle der säkularen Gesellschaft an Stolz. Der Unterschied zwischen Religion und Therapie liege darin, dass eine Therapie niemals mit „ich glaube“ unterbrochen und somit beendet würde. In letzter Instanz sei die Therapie aufbauend und führe zu einer Weiterentwicklung. Der Therapeut demnach habe die Aufgabe den nicht Sündigen sündfähig zu machen, nicht Religiöse erlebten dies als Freiheit.

11. Philosophicum Lech: 1. Tag Jan Philipp Reemtsma - Part 5

11. Philosophicum Lech: Auftakt, Einführung Liessmann - Part 4

1. Tag - Auftakt - Einführung

Konrad Paul Liessmann

Es folgte eine ausführliche Erläuterung über Gretchens Frage von Konrad Paul Liessmann.

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Nach Liessmann ist Religion Privatsache, eine Intimsphäre. Die Frage nach der Religion ist nicht die Frage nach dem rechten Glauben – bist du Katholik oder Protestant? – sondern eine prinzipielle Frage. Es ist die Verpflichtung zur Solidarität, auch ohne Religion zur Moral zu gelangen – Gute Menschen gibt es überall, böse auch.

 

Fausts Ausweichmanöver treibt Gretchen zur Frage „Glaubst du an Gott?“.
Doch in Dingen der Religion gibt es keine Auskunftspflicht. Nach Kierkegaard ist der Glaube nicht kommunizierbar, er ist stumm. Liessmann führt in seinen Erläuterungen an, Faust sei zur Auskunft nicht fähig. Er sei im Dilemma. Einerseits kann er nicht mehr naiv glauben, andererseits ist er noch kein kämpferischer Atheist. 1780 meinte Kant: „Alle Gottesbeweise müssten ebenso scheitern wie alle Versuche, die das Gegenteil im Sinne haben““. Bis dahin, so laut Liessmann gab es keinen Fortschritt im Denken.

Nur ein Gott als Beobachter des Ganzen von Außen ergäbe einen Sinn. Prekär wird es nach Luhmann, wenn religiöse Kontingenzbewältigungsformeln mit moralischen Ansprüchen und sozialen Systemen kurzgeschlossen werden. Wenn also Politik mit Religion gekoppelt wird, dann wird hemmungslos gefoltert. Laut Liessmann habe eine säkulare Gesellschaft kein Problem mit unzähligen Glaubensvorstellungen, solange sie nicht mit dem Rechtssystem zusammenprallen. Liessmann: „Das Problem liegt in der Reetablierung eines Konzeptes von Religion, das (es!) erlaubt, diese als Gemeinschaft zu denken, die nicht nur die Souveränität des Einzelnen bezweifelt und beschneidet, sondern auch für die Lebensform und den dazugehörigen Wertevorstellungen einen Sonderstatus gegenüber den Rechtsnormen der Gesellschaft, in der sie eingebettet ist, beansprucht.“ So verführte Faust im Bunde mit dem Teufel Gretchen. Ob dies die beste Lösung war, bleibt fraglich. Doch Liessman schließt seine Einführung mit der Frage nach Fausts Alternative.

11. Philosophicum Lech: Auftakt, Einführung Liessmann - Part 4

11. Philosophicum Lech: Auftakt, Impulsreferat - Part 3

1. Tag - Auftakt - Impulsreferat

Franz Geiger

Zum Auftakt hielt Franz Geiger, VDir. Siemens AG Österreich, ein Impulsreferat über die Ähnlichkeit von Religion und Wirtschaft. In diesem Zusammenhang ging er der Frage nach ob praktizierte Religionsfreiheit oder Freiheit von Religionen in Betrieben gelebt werden sollten. Und was davon fortschrittlich und was rückschrittlich ist. Geigers Analyse mündet in vielen offenen Fragen und zeigt den Konflikt, in der sich ein Betrieb befindet, der Mitarbeiter verschiedener Religionen einstellt. Alleine das moderne Management, welches die Mitarbeiter in ihrer gesamten Persönlichkeit ernst nimmt, agiert entgegengesetzt, da es weitgehend jegliche Religion am Arbeitsplatz ignoriert.

Somit offenbart er Betriebe als Spiegel der westlichen Gesellschaft, die zwar säkular aber dennoch mit weitgehend ungelösten brisanten und religiösen Problemen behaftet ist.

Aus diesen komplexen Gedanken drängt sich zwangsläufig in unserer wirtschaftlich orientierten westlichen Gesellschaft erneut Gretchens Frage auf. „Sag’ wie hast du’s mit der Religion?“ Wie durchtrieben, zukunftsweisend, ja nahezu prophetisch die Frage Goethes ist, beweist sich bis zum letzten Tag dieses Philosophicums.